Orientierungssatz
Parallelentscheidung zu dem Urteil des SG Berlin vom 24.9.2007 - S 15 R 1830/07, das vollständig dokumentiert ist.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Höhe des Anspruchs der Klägerin auf Rente wegen voller Erwerbsminderung.
Der am 1952 geborenen Klägerin bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 29.01.2007 ab dem 01.05.2004 Rente wegen voller Erwerbsminderung in Höhe von 850,09 Euro (nach Abzug von Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen), längstens zahlbar bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres. Dabei legte die Beklagte zur Berechnung der persönlichen Entgeltpunkte einen Zugangsfaktor von 0,892 zu Grunde und begründete dies damit, dass sich der Zugangsfaktor für jeden Kalendermonat nach dem 31.03.2012 bis zum Ablauf des Kalendermonats der Vollendung des 63. Lebensjahres um 0,003 vermindern würde. Danach betrage die Verminderung für 36 Kalendermonate 0,108. Angesichts der Summe aller Entgeltpunkte von 0,0136 würden daher die persönlichen Entgeltpunkte 0,0121 und angesichts der Summe aller Entgeltpunkte (Ost) von 46,2631 würden daher die persönlichen Entgeltpunkte (Ost) 41,2667 betragen (siehe Anlage 6 des Rentenbescheids vom 29.01.2007).
Mit ihrem Widerspruch vom 23.02.2007, begehrte die Klägerin unter Hinweis auf das Urteil des BSG vom 16.05.2006, Az. B 4 R 22/05 R, die Anwendung eines Zugangsfaktors von 1,0. Die Beklagte habe die verfassungskonforme Auslegung des § 77 SGB VI rechtswidrig unterlassen. Die Anwendung des verminderten Zugangsfaktors im Falle der Klägerin stelle eine Verletzung des Eigentumsrechts dar. In § 77 SGB VI sei ausdrücklich vorgesehen, dass die Zeit des Bezuges einer Rente vor Vollendung des 60. Lebensjahres nicht als Zeit einer vorzeitigen Inanspruchnahme gelte. Die Kürzung habe nur dazu dienen sollen, ein spekulatives Ausweichen der Versicherten in die Erwerbsminderungsrenten wegen der Rentenabschläge bei vorzeitigen Altersrenten zu verhindern. Einem Ruhen des Verfahrens im Hinblick auf eventuelle Parallelverfahren werde nicht zugestimmt.
Unter dem 29.05.2007 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin durch Widerspruchsbescheid zurück. Gemäß der Regelung des § 77 Abs. 2 SGB VI sei bei Renten wegen Erwerbsminderung, welche vor Vollendung des 63. Lebensjahres des Versicherten beginnen würden, stets der Zugangsfaktor zu vermindern. Der Entscheidung des BSG vom 16.05.2006 werde nicht gefolgt. Dagegen spreche sowohl die Intention des Gesetzgebers bei Einführung des Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20.12.2000, mit dem mit einer Übergangszeit vom 01.01.2001 bis 31.12.2003 die Abschläge für die vorzeitige Inanspruchnahme von Erwerbsminderungsrenten eingeführt worden sei, als auch die Verlängerung des Zugangsfaktors nach § 59 SGB VI durch das gleiche Gesetz. Durch letztere würden die hinzunehmenden Rentenkürzungen kompensiert.
Mit ihrer Klage vom 29.06.2007 verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie bezieht sich auf das Urteil des BSG vom 16. Mai 2006. Die Festsetzung eines niedrigeren Zugangsfaktors als 1,0 sei verfassungswidrig. Sie stelle eine fehlerhafte Anwendung des geltenden Rechts dar und verletze die Klägerin in ihren Grundrechten aus Art. 3 Grundgesetz sowie Art. 14 Grundgesetz. Das Prinzip der “(Vor-)Leistungsbezogenheit einer Rente„ dürfe nicht ohne ausdrückliche gesetzliche Grundlage durchbrochen werden. Eine solche Grundlage bestehe bei zutreffender Auslegung nicht in § 77 SGB VI. Der von der Beklagten vorgenommenen Auslegung stünden der Wortlaut des § 77 Abs. 2 Satz 3 SGB VI und die Gründe der Entscheidung des BSG vom 16.05.2006, der sich nunmehr auch das LSG Saarland angeschlossen (Urteil vom 09.02.2007, Az. L 7 RJ 40/06 und L 7 RJ 61/07) habe, entgegen.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den Bescheid der Beklagten vom 29. Januar 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. September 2007 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin ab dem 01. Mai 2004 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf der Grundlage von 0,0136 persönlichen Entgeltpunkte und von 46,2631 persönlichen Entgeltpunkten (Ost) zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte wiederholt ihre Begründungen aus dem angegriffenen Bescheid und Widerspruchsbescheid und führt ergänzend aus, dass der vom BSG im Urteil vom 16.05.2006 vorgenommenen Auslegung auch aus gesetzessystematischen Gründen nicht gefolgt werden könne. So führe diese Auslegung dazu, dass der Gesetzgeber eine bereits getroffene Regelung (§ 77 Abs. 2 Satz 2 SGB VI) im nächsten Satz der Vorschrift (Satz 3) nochmals klarstellend wiederholt. Die von der Beklagten vertretene Auslegung der Norm hingegen, wonach § 77 Abs. 2 Satz 3 SGB VI eine Ergänzung zu § 77 Abs. 3 sei, erfülle die Norm mit Inhalt und sei vorzugswürdig. Zudem sei die Formulierung des § 77 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 SGB VI überflüssig, wenn die gesetzgeber...