Entscheidungsstichwort (Thema)
Asylbewerberleistungen. Analogleistungen. Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft. "Anerkenntnis der Zahlung von Eigenanteilen" zur Beteiligung an den Unterbringungskosten. öffentlich-rechtlicher Vertrag. Nichtigkeit. Nichtigkeit eines Verwaltungsakts entsprechenden Inhalts. besonders schwerwiegender Fehler. absolute Gesetzlosigkeit. Fehlen einer entsprechenden Gebührenordnung
Leitsatz (amtlich)
Ein im Wege eines öffentlich-rechtlichen Vertrags unterschriebenes "Anerkenntnis der Zahlung von Eigenanteilen" zur Beteiligung an den Kosten der Unterbringung für geflüchtete Menschen mit Einkommen ist nichtig, wenn mangels entsprechender Gebührenordnung kein Verwaltungsakt gleichen Inhalts hätte erlassen werden können.
Tenor
Es wird festgestellt, dass das vom Kläger unterschriebene „Anerkenntnis der Zahlung von Eigenanteilen“ vom 25. März 2021 nichtig ist und der Beklagte daraus gegen den Kläger keine Rechte ableiten kann.
Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Tatbestand
Der Kläger macht die Nichtigkeit eines von ihm unterschriebenen Schuldanerkenntnisses geltend.
Der Kläger ist Inhaber einer Aufenthaltsgestattung und Leistungsberechtigt nach § 2 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG). Er bezieht Einkommen aus Erwerbstätigkeit, welches den Regelbedarf übersteigt.
Unter dem 25. März 2021 unterschrieb der Kläger ein „Anerkenntnis der Zahlung von Eigenanteilen“. Dieses lautete wie folgt: „Ich (…) erkenne zur selbständigen Begründung der Zahlungsverpflichtung an, dass ich einen Eigenanteil für die Unterbringungskosten monatlich in Höhe von derzeit 344,- Euro für die Zeit vom 01.03.2021 bis 30.09.2021 dem Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) schulde. Der Eigenanteil verändert sich bei gleichbleibendem Einkommen nicht und wird ggf. gesondert beschieden. Die Verpflichtung zur monatlichen Erstattung des Eigenanteils endet mit Ablauf der in der Kostenübernahmeerklärung genannten Zuweisungszeit, soweit diese nicht verlängert wird. Hiermit wird ein von einem etwaig zu Grunde liegenden Rechtsverhältnis/ Nutzungsverhältnis durch die erfolgte Unterbringung getrenntes und selbständiges Schuldverhältnis begründet Der Eigenanteil ist jeweils bis zum 15 nach Bezug der Unterkunft und in der Folgezeit bis zum 15 eines jeden Monats im Voraus zu entrichten.“ Es folgten die Überweisungsdaten des Landes Berlin. Unterschrieben wurde die Erklärung allein vom Kläger.
Mit eidesstattlicher Erklärung vom 9. April 2021 erklärte der Kläger, dass er am 25. März 2021 einen Termin beim Beklagten gehabt habe. Es sei dabei um die Verlängerung der Kostenübernahme für die Gemeinschaftsunterkunft gegangen, in der er lebe. Während des Gesprächs habe die Sachbearbeiterin ihm ein Dokument gegeben. Er habe nicht verstehen können, was in dem Dokument stehe. Darum habe er nach einem Dolmetscher gefragt. Sie habe gesagt, dass er keinen Dolmetscher brauche, weil er gut Deutsch verstehe. Sie habe gesagt, dass er jetzt viel Geld verdiene und dass er jeden Monat 344 Euro für die Miete zahlen solle und dass er das Dokument unterschreiben müsse. Er habe nicht gewusst, ob das richtig oder falsch sei. Er habe unterschrieben, weil die Frau dies gesagt habe.
Mit anwaltlichem Schreiben vom 15. April 2021 teilte der Kläger mit, dass er das Anerkenntnis widerrufe und anfechte. Die Vereinbarung sei mindestens sittenwidrig. Er sei dazu gedrängt worden, die Unterschrift zu leisten, ohne dass es irgendwelche Verhandlungen auf Augenhöhe gegeben habe oder dass er auch nur ansatzweise die Vereinbarung habe mitgestalten können. Er sei nicht einmal in der Lage gewesen, den Inhalt der Vereinbarung zu verstehen.
Der Kläger hat Klage erhoben.
Mit Beschluss vom 5. November 2021 hat das Gericht auf die Rechtswegrüge des Beklagten den Rechtsweg zu den Sozialgerichten für zulässig erklärt.
Der Kläger behauptet, bei Unterzeichnung des Schuldanerkenntnisses sei seine Bitte um einen Dolmetscher ignoriert worden. Ihm sei erklärt worden, er sei zur Unterschrift verpflichtet.
Der Kläger ist der Ansicht, das Schuldanerkenntnis sei nichtig. Der zuständige Senat für Integration, Arbeit und Soziales von Berlin (im Folgenden SenIAS) habe bis heute eine erforderliche Nutzungsgebührensatzung oder -verordnung für Nutzungsgebühren für Aufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünfte i.S.d. AsylG nicht erlassen. Stattdessen habe SenIAS eine „Übergangsregelung“ etabliert. Da nicht transparent sei, was diese „Übergangsregelung“ umfasse, sei auf Nachfrage, bspw. des Flüchtlingsrates Berlin auf eine Power-PointPräsentation Bezug genommen worden, woraus sich alles ergeben würde und weitere Fragen entbehrlich würden. Ob und welche Kalkulationen dieser „Übergangslösung“ zugrunde lägen, sei bis heute unbekannt. Gegenüber der taz habe die Senatorin am 3. August 2021 sogar von einer Übergangsverordnung gesprochen.
Der Kläger ist der Ansicht, das Schuldanerkenntnis sei bereits wegen Sittenwidrigkeit nach § 58 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbu...