Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Hilfe zur Pflege. häusliche Pflege. Übernahme der Kosten für eine besondere Pflegekraft. Geltendmachung höherer Leistungen aus einer Zusatzvereinbarung mit dem Träger des ambulanten Dienstes. Bedarfsdeckung durch die im Pflegevertrag vereinbarten Leistungen. Unwirksamkeit der Zusatzvereinbarung. Zulässigkeit einer Anrechnung der vom Träger der sozialen Pflegeversicherung gezahlten Pflegesachleistungen und des Wohngruppenzuschlags
Leitsatz (amtlich)
1. Mit der Bewilligung der ergänzenden Leistungen der Hilfen zur Pflege nach §§ 61 ff SGB 12 in Form der Tagespauschale (Leistungskomplexe 19, 38) für die in Berlin in Pflegewohngemeinschaften lebenden Hilfebedürftigen besteht kein ungedeckter Bedarf mehr. Mit der Tagespauschale (LK 19, 38) sind im Land Berlin im Rahmen der Sozialhilfe alle Bedarfe an grundpflegerischen Tätigkeiten, hauswirtschaftlicher Versorgung, Betreuung und Beschäftigung der Pflegebedürftigen einschließlich organisatorischer und verwaltender Tätigkeiten, die durch die besondere Wohnform der Pflegewohngruppe anfallen, gedeckt.
2. Eine gleichwohl zwischen dem Pflegebedürftigen und dem Pflegedienst geschlossene "Vereinbarung über Organisations- und Verwaltungsleistungen in Wohngemeinschaften" (Zusatzvereinbarung) ist unwirksam. Der Pflegebedürftige hat bereits aus dem ambulanten Pflegevertrag, sofern hierin Pflegeleistungen entsprechend der Leistungskomplexe 19 und 38 vereinbart wurden, gegen den ambulanten Pflegedienst einen Anspruch auf Erbringung der in der Zusatzvereinbarung genannten Tätigkeiten.
3. Die Einführung des Wohngruppenzuschlags nach § 38a SGB 11 führt nicht zum Entstehen neuer Bedarfe, die nicht bereits aus dem ambulanten Pflegevertrag vom Pflegedienst zu decken sind. Zwischen dem Wohngruppenzuschlag und den ergänzenden Leistungen der Hilfen zur Pflege in Form der Tagespauschale (LK 19 und 38) besteht Deckungsgleichheit. Die Leistungskongruenz nach § 66 Abs 4 S 1 SGB 12 bewirkt, dass der Wohngruppenzuschlag für die ergänzenden Leistungen der Hilfen zur Pflege einzusetzen ist und sich der Kostenübernahmeanspruch des Pflegbedürftigen gegenüber dem Sozialhilfeträger entsprechend reduziert.
Orientierungssatz
Az beim LSG: L 23 SO 96/15
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Beklagte hat der Klägerin deren außergerichtliche Kosten zu 4/10 zu erstatten.
Tatbestand
Streitig ist, ob der von der Pflegekasse bewilligte Wohngruppenzuschlag von den der Klägerin vom Sozialhilfeträger bewilligten ergänzenden Leistungen der Hilfen zur Pflege für die Zeit von November 2013 bis Oktober 2014 in Abzug zu bringen ist.
Die 1935 geborene Klägerin wohnt seit November 2010 in einem Zimmer einer ambulant betreuten Wohngruppe (WG). Mit ihr wohnen maximal acht weitere Menschen in der Wohnung. Die ambulante Pflege für alle Bewohner erbringt der Pflegedienst “H. K. J. & S. GbR„ (Beigeladene zu 1). Die Wohngruppe wird 24 Stunden betreut.
Die Klägerin erhält vom beklagten Sozialhilfeträger - dem Bezirksamt Mitte - seit 2010 ergänzende Leistungen der Hilfen zur Pflege nach §§ 61 ff. Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII). Zudem erhält sie seit Mai 2010 Pflegesachleistungen nach § 36 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) von der Pflegekasse (Beigeladene zu 2). Mit Bescheid vom 31. Oktober 2013 erkannte sie für die Klägerin ab Oktober 2013 die Pflegestufe II an (1.250 Euro monatlich). Pflegebegründende Diagnosen waren der Verdacht auf ein arzneimittelinduziertes Parkinson-Syndrom mit grobschlächtigem Tremor, eine schizoide Persönlichkeitsstörung mit Antriebsminderung und Vergesslichkeit sowie weitere internistische und orthopädische Erkrankungen (MDK-Gutachten vom 29. Oktober 2013). Ferner erhält die Klägerin von der Beigeladenen zu 2) zusätzliche Leistungen für Versicherte mit erheblichem allgemeinen Betreuungsbedarf nach §§ 45a, b SGB XI in Höhe von 100 Euro monatlich.
Das Land Berlin, die Landesverbände der Pflegekassen und die Wohlfahrtsverbände haben zum 1. Januar 2007 einen Rahmenvertrag nach § 75 Abs. 1 und 2 SGB XI zur ambulanten pflegerischen Versorgung von Pflegebedürftigen in Berlin abgeschlossen. Gegenstand der Vereinbarung sind die in § 14 Abs. 4 SGB XI genannten Hilfeleistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung.
Auf der Grundlage dieses Rahmenvertrages schlossen die vorgenannten Beteiligten sowie die Beigeladene zu 1) am 9. August 2011 und am 27. Februar 2014 Vereinbarungen über die Vergütung der ambulanten Pflegeleistungen und der hauswirtschaftlichen Versorgung gemäß § 89 SGB XI (sog. dreiseitiger Vertrag). Hierin sind u.a. die Leistungsinhalte für die einzelnen Tätigkeiten der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung in Form von einzelnen Leistungskomplexen (LK 1-19 bzw. LK 20) sowie deren Vergütung geregelt.
Nach § 3 Abs. 4 der Vereinbarung nach § 89 SGB XI sind mit den vertraglichen Vergütungssätzen die vertraglichen Leistungen abgegolten. Eine Differenzierung in der Vergütung gegenüber den Kostenträgern und den Pflegebedürftigen...