Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld II. Unterkunft und Heizung. Sechspersonenhaushalt in Berlin. Betriebskosten- und Heizkostennachforderung. Angemessenheitsprüfung. Rückgriff auf die Werte der Wohngeldtabelle plus Sicherheitszuschlag mangels Vorliegen eines schlüssigen Konzeptes im Verbrauchsjahr. Angemessenheitsgrenze für die Heiz- und Warmwasserkosten
Leitsatz (amtlich)
1. Wegen signifikanter Preissprünge auf dem Berliner Wohnungsmarkt begründen gewichtete Werte aus dem Mietspiegel keine Vermutung, dass zu diesem Wert auch ausreichender Wohnraum für SGB 2-Leistungsberechtigte zur Verfügung steht (Anschluss an BSG vom 19.10.2010 - B 14 AS 65/09 R).
2. Ohne weitergehende Ermittlungen zur Verfügbarkeit von Wohnungen, die zuvörderst dem Grundsicherungsträger obliegen und die Frage einschließen müssen, in welchem Umfang die Exklusion leistungsberechtigter Personen aus Stadtbezirken vertretbar ist, muss im Gerichtsverfahren auf die Werte nach § 12 WoGG plus Sicherheitszuschlag zurückgegriffen werden.
3. Kalte Betriebskosten müssen ohne genauere Untersuchung, welche Kosten in einfach ausgestatteten Wohnungen in einfacher Lage üblicherweise anfallen, nach den Mittelwerten der einschlägigen Kostenspiegel übernommen werden. Die damit verbundene Begünstigung ist zur Vermeidung eines Ausschlusses grundsicherungsrelevanter Wohnungen auf einem angespannten Wohnungsmarkt, der auch preisgebundenen Wohnraum mit höheren Betriebskosten umfassen kann, hinzunehmen (Anschluss an BSG vom 22.8.2012 - B 14 AS 13/12 R = SozR 4-4200 § 22 Nr 64).
4. Auch unter Geltung der seit 2014 erstellten Heizspiegel muss ein Grenzwert für angemessene Warmwasserkosten bei zentraler Warmwasserversorgung zugrunde gelegt werden. Die im Heizspiegel erfassten Durchschnittswerte pro Qm sind als Grenzwert ungeeignet.
Tenor
Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 2.12.2015 und Abänderung der Bescheide vom 7.1.2016 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20.1.2016 verurteilt, die Betriebs- und Heizkostennachforderung 2014 (994,41 €) in Höhe von 5/6 zu übernehmen.
Der Beklagte erstattet die außergerichtlichen Kosten.
Tatbestand
Streitig ist die Übernahme einer Betriebs- und Heizkostennachforderung trotz Absenkung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung auf die Richtwerte der bis Juni 2015 angewandten Wohnaufwendungs-Verordnung (WAV) und der seit Juli 2015 geltenden AV-Wohnen.
Die Kläger sind eine Großfamilie, die seit 2005, ergänzend zu Erwerbseinkommen des Klägers zu 1), SGB II-Leistungen beziehen. Im Juni 2004 zogen sie nach einer Verkleinerung des Familienverbandes auf 6 Personen in eine 6-Zimmer-Wohnung (133,48 qm) desselben Hauses, in dem sie zuvor eine noch größere Wohnung bewohnt hatten.
In Umsetzung einer Kostensenkungsaufforderung aus dem Jahr 2006 erhielten die Kläger von Januar bis Juni 2014 Leistungen für Unterkunft und Heizung nach § 22 SGB II in Höhe von 866 €. Von Juli bis Dezember 2014 hatte der Beklagte 904 € für die KdU-Bedarfe gewährt.
Die tatsächlichen Miet- und Heizkosten für die Wohnung im sozialen Wohnungsbau betrugen von Januar bis August 2014 1.005 € und von September bis Dezember 2014 1.026,08 € und wurden von den Klägern durchgehend pünktlich gezahlt.
Im November 2015 ging den Klägern im laufenden Alg II-Bezug die Betriebs- und Heizkostenabrechnung für das Jahr 2014 zu. Danach war eine Nachzahlung von 994,41 € spätestens bis zum 16.12.2015 zu leisten, die sich aus einer Nachforderung für die Betriebskosten in Höhe von 175,69 € und eine Nachforderung für Heizung und Warmwasser der zentralen, mit Heizöl betriebenen Anlage in Höhe von 818,72 € zusammensetzt.
Den am 30.11.2015 gestellten Antrag auf Übernahme der Nachforderung lehnte der Beklagte mit der Begründung ab, infolge der Kostensenkung auf Richtwerte könne dem Antrag nicht entsprochen werden (Bescheid vom 2.12.2015).
Auf den Widerspruch der Kläger erhöhte der Beklagte die für 2014 zu übernehmenden KdU-Bedarfe auf die fortgeschriebenen Werte der WAV (= 916 € für Januar und Februar 2014 sowie 938 € für März bis Dezember 2014). Damit seien die Ansprüche der Kläger nach § 22 SGB II umfassend erfüllt worden (Änderungsbescheide vom 7.1.2016, bestätigt mit Widerspruchsbescheid vom 20.1.2016).
Hiergegen richtet sich die am 10. Februar 2016 beim Sozialgericht Berlin erhobene Klage auf Übernahme der Nachforderung in Höhe von 5/6 der tatsächlichen Kosten unter Berücksichtigung des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 5 SGB II eines Mitglieds der Bedarfsgemeinschaft.
Die Kläger machen geltend, der Beklagte müsse die von einem Mietanwalt geprüfte Nachforderung übernehmen. Die Werte der WAV seien nach Rechtsprechung des BSG unschlüssig.
Der Bevollmächtigte der Kläger beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 2.12.2015 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 7.1.2016, diese in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20.1.2016 zu verurteilen, die Betriebs- und Heizkostennachforderung 2014 in Höhe von 5/6 der tatsächlichen Kosten zu übernehmen.
Die Beklagte...