Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Berechtigung zur freiwilligen Versicherung. keine Überprüfung des rechtmäßigen Bezugs von Arbeitslosengeld bei ehemaligen Beziehern von Arbeitslosengeld II durch die Krankenkasse

 

Orientierungssatz

1. Bei der Berücksichtigung von Zeiten des Arbeitslosengeld II-Bezuges als Vorversicherungszeiten im Rahmen der Prüfung der Berechtigung zur freiwilligen Versicherung nach § 9 Abs 1 S 1 Nr 1 Halbs 2 SGB 5 idF vom 22.12.2005 von ehemaligen Beziehern von Arbeitslosengeld II ist unerheblich, ob der Leistungsbezug materiell rechtmäßig war (vgl ua LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 31.8.2006 - L 11 B 18/06 KR ER = Breith 2007, 97; SG Gießen, Urteil vom 5.4.2007 - S 15 KR 213/06).

2. Ein iS von § 9 Abs 1 S 1 Nr 1 Halbs 2 Regelung 2 SGB 5 unrechtmäßiger Alg-II-Bezug ist nur anzunehmen, wenn die Bewilligung förmlich (rückwirkend) aufgehoben worden ist oder der Träger nach dem SGB 2 bei dem Sozialhilfeträger zumindest einen Erstattungsanspruch angemeldet hat (vgl LSG Essen, Beschluss vom 31.8.2006 - L 11 B 18/06 KR aaO).

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 24.06.2008; Aktenzeichen B 12 KR 19/07 R)

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Feststellung, dass er ab 1. Mai 2006 freiwillig versichertes Mitglied der Beklagten ist.

Der 1974 geborene Kläger schloss 1997 eine Ausbildung zum Stuckateur ab. Nach kurzen Beschäftigungen und der Ableistung einer gesetzlichen Dienstpflicht bezog er zuletzt bis 31. Januar 2001 Leistungen der Bundesagentur für Arbeit (BA). Anschließend befand sich der Kläger nach eigenen Angaben ohne Leistungsbezug bei seiner Familie in Spanien. Seit 29. Mai 2002 erhielt er - wohl unterbrochen von Zeiten der Obdachlosigkeit, in denen der Kläger keinerlei Leistungen bezog - vom Beigeladenen zu 2) Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz. Die vom Beigeladenen zu 2) eingeschaltete Fachärztin für psychotherapeutische Medizin V. hatte auf Grund einer Untersuchung bereits am 26. August 2004 festgestellt, dass der Kläger an einer schwerwiegenden psychiatrischen Erkrankung leidet, die dringend einer Behandlung bedarf. Derzeit liege Arbeitsunfähigkeit vor (Stellungnahme vom 1. September 2004).

Am 4. Januar 2005 forderte ein Mitarbeiter des Beigeladenen zu 2) den Kläger auf, einen Antrag auf Gewährung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) zu stellen. Im SGB-II-Antragsformular ist die Frage, ob der Kläger seiner Einschätzung nach mindestens drei Stunden täglich einer Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nachgehen könne, mit braunem Kugelschreiber verneint mit der Begründung "psychisch eingeschränkt". Gleichzeitig ist mit rotem Stift das Feld "ja" angekreuzt. Nachdem das JobCenter S. dem Kläger ab 4. Januar 2005 Arbeitslosengeld II (Alg II) zuerkannt hatte, stellte der Beigeladene zu 2) die Hilfe zum Lebensunterhalt ab 1. Juni 2005 ein (Bescheid vom 2. Mai 2005).

Vom 6. bis 26. Dezember 2005 wurde der Kläger stationär im S-Krankenhaus behandelt. Der Entlassungsbrief nennt die Diagnose paranoide Schizophrenie. Die Agenturärztin (BA) K. schätzte am 22. Dezember 2005 nach Aktenlage ein, dass der Kläger länger als sechs Monate auf unabsehbare Dauer nicht leistungsfähig ist für eine geregelte Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Nachdem der Rentenversicherungsträger den Antrag des Klägers auf Rente wegen voller Erwerbsminderung wegen fehlender versicherungsrechtlicher Voraussetzungen bindend abgelehnt hatte (Bescheid vom 24. Februar 2006) hob das JobCenter die Bewilligung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts mit Wirkung vom 1. Mai 2006 auf (Bescheid vom 28. März 2006). Seitdem bezieht der Kläger vom Beigeladenen zu 2) Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - und erhält Krankenbehandlung nach § 264 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V).

Am 16. Juni 2006 erklärte der Kläger gegenüber der Beklagten seinen Beitritt zur freiwilligen Krankenversicherung. Die Beklagte beschied ihn dahin, eine freiwillige Krankenversicherung sei mangels ausreichender Vorversicherungszeiten nicht möglich (Bescheid vom 19. Juli 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Oktober 2006).

Im Klageverfahren trägt der Kläger vor, die Vorversicherungszeiten seien erfüllt. Denn das JobCenter S. gehe von einer Leistungsberechtigung bis zum 30. April 2006 aus und stelle keine Rückforderungen.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 19. Juli 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Oktober 2006 aufzuheben und festzustellen, dass er seit 1. Mai 2006 freiwillig versichertes Mitglied der Beklagten ist.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Bescheid für zutreffend.

Das JobCenter S. hat auf gerichtliche Anfrage erklärt, dass eine Rückforderung der dem Kläger bis Ende April 2006 zuerkannten SGB-II-Leistungen ebenso wenig beabsichtigt ist, wie die Anmeldung eines Erstattungsanspruchs bei...

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