Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsärztliche Versorgung. Wirtschaftlichkeitsprüfung. Regress wegen Arzneimittelverordnungen. Rückwirkung der Prüfvereinbarung 2003. Publikation der Vereinbarung. Beginn der Ausschlussfrist für die Ausübung des Prüfungsrechts. Rechtssicherheit. Verjährung von Ersatzansprüchen
Orientierungssatz
1. Die rückwirkende Anwendung der erst im August 2003 im KV-Blatt veröffentlichten Prüfvereinbarung 2003 verstößt gegen das Rückwirkungsverbot.
2. Die Ausschlussfrist für die Festsetzung eines Regresses wegen einzelner Verordnungen beginnt entweder mit dem Datum der jeweiligen Verordnung oder mit Ablauf des Quartals, in dem die Verordnung ausgestellt wurde oder aber mit Beginn des auf die Verordnung folgenden Jahres. Für die Annahme des Beginns der Ausschlussfrist am Beginn des auf das Jahr der Verordnung folgenden Jahres spricht insbesondere die einfache Bestimmung des Zeitpunkts und der damit einhergehende Gewinn an Rechtssicherheit. Ebenso läuft in diesen Fällen die Ausschlussfrist parallel zur Ausschlussfrist der Prüfung der Verordnungsweise nach Richtgrößen (vgl zB SG Berlin vom 27.8.2008 - S 83 KA 433/07). Auch die gesetzgeberische Wertung, wie sie in § 106 Abs 2 S 6 SGB V idF des GKV-WSG zum Ausdruck kommt, wonach die Regressfestsetzung innerhalb einer (nunmehr zweijährigen) Frist nach Ende des geprüften Zeitraums (regelmäßig ein volles Jahr) erfolgen muss, stützt diese Lösung.
3. Bei Schadenersatzansprüchen, die aus einer Verletzung vertragsärztlicher Pflichten resultieren, beginnt die Verjährung wie bei anderen Ansprüchen aus dem Bereich des Sozialrechts (§ 45 Abs 1 S 1 SGB 1, §§ 25 Abs 1, 27 Abs 2 SGB 4, §§ 50 Abs 4, 113 SGB 10) mit dem Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie entstanden sind. Ein Auseinanderfallen von Ausschluss- und Verjährungsfrist ist nicht zu rechtfertigen.
Tenor
Der Beschluss des Beklagten vom 10. April 2007 (schriftlicher Bescheid vom 11. Juli 2007) bezüglich der Feststellung eines sonstigen Schadens auf Antrag des BKK-LV Ost wird aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese jeweils selbst tragen.
Tatbestand
Streitig ist ein Regress wegen verschiedener einzelner Arzneimittelverordnungen, der anlässlich der Richtgrößenprüfung für das Jahr 2000 festgesetzt wurde.
Die Klägerin ist eine Gemeinschaftspraxis, die von den beiden Gesellschafterinnen Dr. E E und Dr. D B geführt wird und an der vertragsärztlichen Versorgung in Berlin teilnimmt. Beide Gesellschafterinnen sind Fachärztinnen für Innere Medizin, der Schwerpunkt ihrer Tätigkeit liegt im Bereich der Dialyse, der Behandlung und Betreuung transplantierter Patienten und der Behandlung von Bluthochdruckerkrankungen.
Mit Schreiben vom 5. November 2002 teilte die Geschäftsstelle der Prüfgremien bei der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin der Klägerin mit, dass ihre Verordnungsweise für das Jahr 2000 nach Richtgrößen von Amts wegen überprüft werde. Mit Stellungnahme vom 12. Januar 2003 teilte die Klägerin ihre Praxisbesonderheiten mit. Mit Schreiben vom 21. Februar 2005, eingegangen beim Prüfungsausschuss am 25. Februar 2005, beantragte der Beigeladene zu 2) für die Betriebskrankenkassen die Feststellung eines sonstigen Schadens wegen der Verordnungen verschiedener Präparate in den Quartalen I bis IV/2000 in Höhe von insgesamt 10.470,14 DM (= 5.353,30 €) netto. Mit Schreiben vom 28. Juni 2005 teilte der Prüfungsausschuss der Klägerin mit, dass die Richtgrößenprüfung wegen Anträgen auf Feststellung sonstiger Schäden ausgesetzt worden sei. Zugleich übersandte der Prüfungsausschuss der Klägerin unter anderem den Antrag des Beigeladenen zu 2). Mit Schreiben vom 7. August 2005 gab die Klägerin eine medizinische Stellungnahme zu den beanstandeten Verordnungen ab. Nach einer Teilrücknahme des Antrags durch den Beigeladenen zu 2) mit Schreiben vom 22. September 2005 setzte der Prüfungsausschuss mit Beschluss vom 14. Dezember 2005 (schriftliche Ausfertigung vom 22. Dezember 2005) eine Ersatzverpflichtung in Höhe von insgesamt 8.972,03 DM (= 4.587,33 €) fest. Am 5. Januar 2006 legte die Klägerin hiergegen Widerspruch ein.
Mit Beschluss vom 10. April 2007 (schriftliche Fassung vom 11. Juli 2007) reduzierte der Beklagte den Regress auf 3.981,29 €, weil einige der vom Prüfungsausschuss beanstandeten Präparate doch zu Lasten der vom Beigeladenen zu 2) vertretenen Krankenkassen verordnungsfähig gewesen seien. Im Übrigen wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Die beanstandeten Arzneimittelverordnungen hätten nicht zu Lasten der Krankenkassen vorgenommen werden dürfen.
Hiergegen richtet sich die am 13. August 2007 erhobene Klage, zu deren Begründung die Klägerin im Wesentlichen vorträgt: Die Entscheidung des Prüfungsausschusses sei verspätet. Es werde die Einrede der Verjährung erhoben. Im Übrigen werde insbesondere auf die Stellungnahme aus dem Verwaltungsverfahren vom 7. August 2005 verwiesen.
Die Klägerin beantragt,
den Beschluss des Beklagten vom ...