Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Einkommens- bzw Vermögensberücksichtigung. Erbschaft. keine Verwendung zur Sicherung des Lebensunterhalts. Tilgung von Unterhaltsschulden und vorzeitiger Verbrauch. fehlende bereite Mittel. Ersatzanspruch bei sozialwidrigem Verhalten. Rechtswidrigkeit des Erstattungsbescheides mit Eintritt der Volljährigkeit des Kindes. Haftungsbeschränkung zugunsten des minderjährigen Kindes
Leitsatz (amtlich)
1. Die Anrechnung von Einkommen oder Vermögen setzt voraus, dass dieses dem Hilfebedürftigen tatsächlich als bereites Mittel noch zur Verfügung steht. Die tatsächlichen Verhältnisse gehen einer normativen Berechnung vor. Sofern jemand Einkommen und Vermögen ohne Berücksichtigung einer in Zukunft nahenden Hilfebedürftigkeit ausgegeben hat, ist dieser hilfebedürftig. Insofern müssen Ersatzansprüche nach § 34 SGB 2 geltend gemacht werden.
2. Eine Erstattungsforderung wird nachträglich rechtwidrig, wenn bei Erreichen der Volljährigkeit das Vermögen hinter der Forderung zurückbleibt.
Tenor
Der Aufhebungsbescheid vom 2. September 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. November 2010 wird aufgehoben.
Der Ablehnungsbescheid vom 29. Dezember 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. März 2011 wird aufgehoben, der Beklagte wird verurteilt, den Klägerinnen für Januar bis Juni 2011 endgültig Leistungen zu bewilligen.
Der Erstattungsbescheid vom 23. September 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. März 2011 wird aufgehoben, soweit von der Klägerin zu 2) ein höherer Betrag als 2,14 EUR erstattet verlangt wird.
Im Übrigen wird die Klage zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Frage, ob und in welchem Umfang eine Erbschaft der - deswegen inzwischen strafrechtlich verurteilten - Klägerin zu 1) in Höhe von 93.000,00 EUR als Einkommen und/oder Vermögen auf den Bedarf der Klägerinnen anzurechnen ist.
Die im März 1951 geborene Klägerin zu 1) ist Mutter der am 20. Juli 1995 geborenen Klägerin zu 2). Beide beziehen seit Januar 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II.
Am 28. September 2008 verstarb der Vater der Klägerin zu 1) und hinterließ der Klägerin eine Eigentumswohnung sowie Barvermögen. Mit Bescheid vom 26. November 2008 bewilligte der Beklagte den Klägerinnen für den Zeitraum von Januar bis Juni 2009 Arbeitslosengeld II. Am 5. Februar 2009 erhielt die Klägerin zu 1) vom Nachlassverwalter Bargeld in Höhe von 43.501,66 EUR durch Überweisung auf das Konto ihrer Tochter C…. Nach ihren Angaben wurde das Geld nicht auf das Konto der Klägerin zu 2) überwiesen, da diese minderjährig war. Die Klägerin zu 1) hob das Geld vom Konto der Tochter ab und verwahrte es zuhause. Die Klägerin zu 1) gibt an, dem Beklagten den Erhalt des Geldes mitgeteilt zu haben. Der Beklagte bestreitet dies.
Im April 2009 wurde die vererbte Eigentumswohnung zu einem Verkaufspreis von 50.000,00 EUR verkauft. Der Verkaufserlös wurde der Klägerin zu 1) auf das Konto ihrer Tochter C... am 27. Mai 2009 überwiesen. Den Zufluss dieses Geldes zeigte die Klägerin zu 1) dem Beklagten nicht an. Die Klägerin zu 1) trägt vor, dieses Geld vollständig an ihren Sohn O... aus erster Ehe in bar übergeben zu haben. Ihren 1978 geborenen Sohn habe ihr damaliger Mann bereits 1978 zu sich genommen, sie habe 30 Jahre lang keinen Kontakt zu ihrem Sohn gehabt. Da ihr Sohn mehrfach bei ihr die Zahlung von Unterhalt gefordert habe und sie diesen bislang nie leisten konnte, habe sie sich moralisch verpflichtet gefühlt, ihre Schuld zu erfüllen. Aus diesem Grund habe sie sich entschieden, ihrem Sohn O... den Erlös aus dem Verkauf der Wohnung seines Großvaters vollständig überlassen. Daher habe sie ihm am 27. Mai 2009 40.000,00 EUR sowie am 30. September 2009 und 4. November 2009 weitere 4.000,00 und 6.000,00 EUR übergeben. Hierzu legt sie Empfangsquittungen vor, die von O.F… unterzeichnet sind.
Am 27. Mai 2009 bewilligte der Beklagte den Klägerinnen Arbeitslosengeld II für den Zeitraum von Juli bis Dezember 2009. Am 26. Juni 2009 erließ die Beklagte drei Aufhebungs- und Erstattungsbescheiden, mit welchen er für die Monate Mai und Juni 2009 eine Veränderung der Betriebskostenvorauszahlungen sowie eine geringere Miete berücksichtigte. Mit Bescheid vom 1. Dezember 2009 bewilligte der Beklagte den Klägerinnen sodann Arbeitslosengeld II für den Zeitraum von Januar bis Juni 2010. Die Bewilligungsentscheidung hob er mit Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 7. Juni 2010 teilweise für die Monate Januar bis Mai 2010 auf, da eine höhere Kindergeldnachzahlung nachträglich berücksichtigt wurde. Mit Bewilligungsbescheid vom 18. Mai 2010 bewilligte der Beklagte den Klägerinnen sodann für Juni bis Dezember 2010 Arbeitslosengeld II. Hierzu erließ der Beklagte am 7. Juni 2010 einen Änderungsbescheid, welcher die Aufrechnung der Erstattungssumme aus dem Bescheid vom 7. Juli 2010 regelt. Mit Änderungsbescheid vom 19. August 201...