Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Untätigkeitklage. Widerspruchseinlegung per Fax-Übertragung. "OK"-Vermerk des Sendeberichts als Zugangsnachweis. Rechtsstaatsprinzip

 

Orientierungssatz

Die neuere Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Beschluss vom 20.10.2009 -B 5 R 84/09 B-), des Oberlandesgerichts Celle (Urteil vom 19.06.2008 -8 U 80/07-) und des Oberlandesgerichts Karlsruhe (Urteil vom 30.09.2008 -12 U 65/08) , wonach die Vorlage des nicht manipulierten Sendeprotokolls mit "OK"-Vermerk den Schluss auf den Zugang des per Telefax übermittelten Dokuments zulässt, genügt in besonderer Weise den Anforderungen des Rechtsstaatsprinzips. Denn die aus technischen Gegebenheiten herrührenden Risiken der Übermittlung per Fax dürfen nicht auf den Nutzer abgewälzt werden, wenn dieser das seinerseits Erforderliche für eine ordnungsgemäße Nutzung dieser Zugangseinrichtung getan hat (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 25.02.2000 -1 BvR 1363/99-).

 

Tenor

Der Beklagte wird verpflichtet, über den Widerspruch der Kläger vom 17. Mai 2011 gegen den Bescheid vom 9. Mai 2011 zu entscheiden und einen Widerspruchsbescheid zu erlassen.

Der Beklagte hat den Klägern die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Die Berufung wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Kläger begehren im Wege der Untätigkeitsklage den Erlass eines Widerspruchsbescheids.

Die Kläger beantragten am 6. Mai 2011 bei dem Beklagten die Übernahme von Kosten für die Betriebskostenabrechnung des Jahres 2010, die einen Nachzahlungsanspruch des Vermieters in Höhe von 387,80 Euro ausweist. Mit Bescheid vom 9. Mai 2011 lehnte der Beklagte den Antrag ab.

Am 18. August 2011 haben die Kläger beim Sozialgericht Berlin Klage erhoben, mit der sie den Erlass eines Widerspruchsbescheids begehren. Ausweislich des Faxsendeberichts vom 17. Mai 2011, den der Bevollmächtigte an den Beklagten per Telefax übermittelt habe, hätten sie Widerspruch gegen den vorgenannten Bescheid eingelegt. Zum Nachweis legten sie den Sendebericht vor, der einen “OK-Vermerk„ trägt.

Die Kläger beantragen,

den Beklagten zu verurteilen, den Widerspruch vom 17. Mai 2011 gegen den Bescheid vom 9. Mai 2011 zu bescheiden.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Widerspruch liege nicht vor. Das Empfangsjournal liege nicht mehr vor. Außerdem sei den Klägern offenkundig gewesen, dass hier ein Widerspruch nicht eingegangen sei, weil sie keine Empfangsbestätigung erhalten hätten. Was spreche dagegen, bei einer Behörde nach dem Verbleib des Widerspruchs, für den es keine Eingangsbestätigung gebe, nachzufragen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung der Kammer ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.

 

Entscheidungsgründe

Die Entscheidung ergeht mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Urteil, § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz.

Die Klage ist zulässig. Die in § 88 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) bestimmte Sperrfrist zur Klageerhebung von drei Monaten ab Widerspruchseinlegung ist abgelaufen. Der Widerspruch vom 17. Mai 2011 gegen den Bescheid vom 9. Mai 2011 ist dem Beklagten zugegangen. Denn die Vorlage des nicht manipulierten Sendeprotokolls mit “OK„-Vermerk lässt den Schluss auf den Zugang des per Telefax übermittelten Dokuments zu. Insoweit wird auf den Beschluss des BSG vom 20. Oktober 2009, Az. B 5 R 84/09 B, verwiesen, in dem auf die Sachverständigenaussagen in den Verfahren vor dem OLG Celle zum Az. 8 U 80/07 (Urteil vom 19. Juni 2008) und vor dem OLG Karlsruhe zum Az. 12 U 65/08 (Urteil vom 30. September 2008) Bezug genommen wird. In letzterem Verfahren hat der dortige Sachverständige ausgeführt, dass er die Wahrscheinlichkeit, dass die Übermittlung der Telefaxnachricht trotz Vorliegens eines Sendeberichts mit “OK„-Vermerk an Leitungsstörungen, die zum Abbruch der Verbindung geführt haben könnten, gescheitert sein könnte, mit 0 % bewertet. Nach Studium der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung ist die Kammer zu der Überzeugung gelangt, dass die oben dargelegte neuere Rechtsprechung in besonderer Weise den Anforderungen des Rechtsstaatsprinzips genügt. Denn die aus den technischen Gegebenheiten herrührenden Risiken der Übermittlung per Fax dürfen nicht auf den Nutzer abgewälzt werden, wenn dieser das seinerseits Erforderliche für eine ordnungsgemäße Nutzung dieser Zugangseinrichtung getan hat (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. Februar 2000, Az. 1 BvR 1363/99). Es bestehen vorliegend keine Anhaltspunkte für eine Manipulation des Sendeprotokolls oder dafür, dass der Bevollmächtigte der Kläger nicht das seinerseits Erforderliche für eine ordnungsgemäße Nutzung des Faxverkehrs getan habe. Solche Anhaltspunkte hat auch der Beklagte nicht vorgetragen.

Die Klage ist auch begründet. Der Beklagte hat ohne zureichenden Grund im Sinne des § 88 Abs. 1 SGG nicht über den Widerspruch der Kläger innerh...

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