Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss bei längerer Unterbringung in stationärer Einrichtung. suchtkranker Mensch in einem Haus der Stiftung Synanon. Arbeitstätigkeit nur in therapeutischen Zweckbetrieben. fehlende Erwerbsfähigkeit. Zuständigkeit der Sozialhilfe
Leitsatz (amtlich)
1. Eine stationäre Einrichtung im Sinne von § 7 Abs .4 SGB 2 liegt vor, wenn das gemeinschaftliche Zusammenleben suchtkranker Menschen und die Arbeit in therapeutischen Zweckbetrieben wesentlicher Teil des Hilfekonzepts sind, um einen schützenden Rahmen für zu bieten, weil die Bewohner noch nicht wieder fähig sind, ohne Rückfall in die Sucht einer regulären Erwerbstätigkeit außerhalb der Gemeinschaft nachzugehen.
2. Nicht entscheidend für die Einordnung als stationäre Einrichtung ist, ob die abstrakte Möglichkeit besteht, aus der Einrichtung heraus einer regulären Erwerbstätigkeit nachzugehen.
3. Sind einer Person Tätigkeiten außerhalb therapeutischer Zweckbetriebe wegen der damit verbundenen Gefahr des Rückfalls in die Sucht generell unzumutbar, deutet dies auf eine Erwerbsunfähigkeit im Sinne von § 43 SGB 6 hin.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Streitig ist, ob das Leben in der Stiftung Synanon eine stationäre Unterbringung i. S. von § 7 Abs. 4 SGB II ist.
Der Kläger lebt seit Februar 2009 in der aus einem Verein hervorgegangenen rechtsfähigen Stiftung Synanon.
Synanon versteht sich als Gemeinschaft suchtkranker Menschen, die sich ohne professionelle Therapeuten Hilfe zur Selbsthilfe geben. Die Grundregeln des Zusammenlebens sind:
1. keine Drogen, kein Alkohol, keine bewusstseinsverändernden Medikamente
2. keine Gewalt oder deren Androhung
3. kein Tabak, wir rauchen nicht
Als “Herzstück„ des Lebens in den Synanon-Häusern wird die Arbeit in therapeutischen Zweckbetrieben gesehen, die sinnvolle Beschäftigung geben soll sowie Aus- und Weiterbildungsangebote unter realen Arbeitsmarktbedingungen bietet.
Synanon nimmt Betroffene ohne vorherige Klärung einer Kostenübernahme oder Zuweisung durch einen Sozialversicherungsträger auf. Im Gegenzug wird an das Leben in der Synanon-Gemeinschaft die Erwartung einer je nach individueller Leistungsfähigkeit möglichen Mitarbeit im Hausbereich (Küche, Reinigung) sowie in den Zweckbetrieben geknüpft. Die mit der Arbeit in den Zweckbetrieben erwirtschafteten Einkommen fließen auf ein Gemeinschaftskonto der Synanonstiftung.
Der Lebensunterhalt der Synanon-Bewohner wird überwiegend durch Leistungen nach dem SGB II abgedeckt, die ebenfalls auf ein Gemeinschaftskonto der Synanonstiftung gehen. Zur Finanzierung der Unterbringung in den Synanon-Häusern über SGB II-Mittel schließt die Synanonstiftung Mietverträge mit den Bewohnern über Ein- oder Mehrbettzimmerwohnungen, je nach Suchtresistenz des Betroffenen, ab.
Barmittel zur eigenen Verfügung erhalten die Bewohner in gemeinsamer Absprache mit den übrigen Bewohnern, wobei sich die Kriterien für die Vergabe u. a. daran orientieren, wie weit die Fähigkeit gediehen ist, verantwortungsvoll (ohne Rückfall in die Sucht) mit Geld umgehen zu können. Langjährige Bewohner, wie der Kläger, erhalten ein bestimmtes Budget aus einem Kassenbestand, der über eine Kontokarte verwaltet wird.
Die medizinische Versorgung der Synanon-Bewohner wird über ein Netzwerk von Ärzten des Vertrauens (so der Tätigkeitsbericht der Stiftung) gewährleistet.
Außerdem bietet Synanon als anerkannte Einrichtung nach § 35 BtMG Therapie statt Strafe und hilft bei der Entschuldung der Betroffenen.
Die Palette der Arbeitstätigkeiten in den Häusern und Zweckbetrieben wird durch eine Reihe von Freizeitangeboten und einer Erholung in einem der Stiftung gehörenden Ferienhaus ergänzt.
Wie auch im Fall des Klägers werden die Alg II-Anträge von Mitarbeitern der Stiftung ausgefüllt und sind regelmäßig damit begründet, dass der Antragsteller zwar erwerbsfähig sei, aber derzeit wegen einer Rückfallgefahr noch keine Tätigkeit außerhalb des geschützten Rahmens der Stiftung aufnehmen könne.
Die Jobcenter hatten dies bis Ende 2012 akzeptiert und von Vermittlungen in reguläre Beschäftigungsverhältnisse abgesehen bzw. nur Maßnahmen mit oder ohne Entgelt gefördert. Seitdem beurteilen sie das Leben in einem Synanon-Haus als stationäre Unterbringung und beziehen sich u. a. auf die Antworten der Stiftung zu einem Fragebogen der Regionaldirektion Berlin-Brandenburg, auf den wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird.
Demgemäß wurde auch der Fortzahlungsantrag des Klägers für den Weiterbewilligungszeitraum Februar bis Juli 2013 mit Bescheid vom 8.1.2013 abgelehnt; die Stiftung sorge so umfassend für das Leben und die Integration der Bewohner, dass eine reguläre Vermittlung in Arbeit ausgeschlossen sei.
Hiergegen wandte der Kläger mit Muster-Widerspruchsschreiben der Stiftung ein, das Leben in den Synanon-Häusern ermögliche nach Organisation und Therapiekonzept ohne weiteres die jederzeitige Aufnahme einer Arbeit zu üblichen Bedingu...