Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Rabatte der pharmazeutischen Unternehmer. Auslegung des § 130a Abs 3b S 1 SGB 5 bei patentfreien, wirkstoffgleichen Arzneimitteln. GKV-Spitzenverband. Verbindlichkeit des Leitfadens zur Definition des Generikaabschlags. Abschlagspflicht. keine Unterscheidung zwischen Inverkehrbringen in oder unter eigenen Namen bzw bei arzneimittelrechtlicher Haftungsabgrenzung zwischen Zulassungsinhaber und örtlichem Vertreter

 

Leitsatz (amtlich)

1. Maßgeblich für die Auslegung des § 130a Abs 3b S 1 SGB 5 ist bei dem Inverkehrbringen von patentfreien, wirkstoffgleichen Arzneimitteln der Wettbewerbsbezug. Es entspricht dem gesetzgeberischen Willen, pauschal bestimmte und durch Absatzkonkurrenz geprägte Vertriebsgestaltungen der Abschlagspflicht zu unterwerfen Der Leitfaden zur Definition des Generikaabschlags nach § 130a Abs 3b SGB 5 des GKV-Spitzenverbandes ist verbindlich. Eine abweichende Darreichungsform stellt kein solitäres Fertigarzneimittel dar.

2. Eine Unterscheidung zwischen Inverkehrbringen in oder unter eigenen Namen oder die arzneimittelrechtliche Haftungsabgrenzung zwischen Zulassungsinhaber und örtlichem Vertreter ist für die Abschlagspflicht nach § 130a Abs 3b S 1 SGB 5 ohne Belang.

 

Orientierungssatz

Az beim LSG: L 9 KR 213/13.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 03.08.2022; Aktenzeichen B 3 KR 3/21 R)

BSG (Urteil vom 20.12.2018; Aktenzeichen B 3 KR 11/17 R)

 

Tenor

Die Klagen werden abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens tragen die Klägerin zu 1) und die Klägerin zu 2) zu je ein halb.

Der Streitwert wird - jeweils auch für den Zeitraum vor der Verbindung - auf 2,5 Millionen € festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Klägerinnen begehren die Feststellung, dass die von ihnen vertriebenen Arzneimittel nicht der Abschlagspflicht gemäß § 130a Abs. 3b SGB V unterliegen.

Die Klägerinnen sind Pharmaunternehmen mit Sitz in G. und B., der Beklagte ist die zentrale Interessenvertretung der gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen in Deutschland.

Die Klägerin zu 1) vertreibt das Insulinpräparat Hn.®. Aufgrund Lizenzvertrages ist es der Klägerin zu 2) gestattet, das Insulinpräparat unter dem Handelsnamen Bn.® ebenfalls in Deutschland zu vertreiben. Beide Präparate werden von konzernverbundenen Unternehmen der Klägerin hergestellt und stammen aus einem einheitlichen Herstellungsvorgang; der Wirkstoff und die Zusammensetzung beider Präparate sind identisch. Zu Hn.® oder Bn.® werden in Deutschland keine Generika oder Biosimilars angeboten. Die Klägerinnen sind jeweils Zulassungsinhaberinnen für die Arzneimittel, es besteht seit mindestens 2006 kein Patentschutz mehr.

Nachdem zum 1. April 2006 der sogenannte Generikaabschlag in § 130a Abs. 3b SGB V eingeführt wurde, kennzeichneten die Klägerinnen Hn.® oder Bn.® nicht als abschlagspflichtig. Als Ausnahme von der Abschlagspflicht gaben sie an, dass es sich um biologische und am Markt solitäre Arzneimittel handele. Im August 2008 veröffentlichten die Vorgängerverbände des Beklagten, die Spitzenverbände der Krankenkassen, einen "Leitfaden zur Definition des Generikaabschlags nach § 130a Abs. 3b SGB V" (i.F. Leitfaden) zur Umsetzung des Generikaabschlags. Die Spitzenverbände der Krankenkassen vertraten danach die Ansicht, die von den Klägerinnen vertriebenen Arzneimittel würden der Abschlagpflicht unterliegen. Zwischen den Beteiligten begannen rechtliche Auseinandersetzungen, in deren Folge die Klägerinnen Streitigkeiten mit den Apotheken und wirtschaftlichen Nachteile aufgrund eines Boykotts der Apotheker befürchteten. Sie entschlossen sich auch aufgrund des vom Beklagen ausgeübten Drucks - die Klägerin zu 1) im Juni 2009, die Klägerin zu 2) im März 2009 - die Kennzeichnung von Hn.® und Bn.® vorläufig dahingehend zu ändern, dass diese Arzneimittel als abschlagpflichtiges Arzneimittel behandelt werden. Sie meldeten der Informationsstelle für Arzneimittelspezialitäten GmbH (i.F. IFA GmbH) die Arzneimittel als abschlagspflichtig. Die IFA GmbH ist als Informationsdienstleister für den deutschen Pharmamarkt eine gemeinsame Clearingstelle der pharmazeutischen Industrie, des pharmazeutischen Großhandels und der Apotheker. Danach führten die Klägerinnen rückwirkend seit Januar 2009 den Generikaabschlag für Hn.® und Bn.® ab. Zugleich zahlten sie rückständige Abschläge für die Zeit ab dem 1. Juli 2006 nach. Die Klägerin zu 1) zahlte für Hn.® für den Zeitraum April 2006 bis Dezember 2008 mehr als 5,4 Mio. EUR, für den Zeitraum von Januar 2009 bis Juni 2010 mehr als 2,8 Mio. EUR, die Klägerin zu 2) zahlte für die Zeit von Juni 2006 bis August 2010 für Bn.® Abschläge von mehr als 19,5 Mio. EUR.

Die Klägerinnen sind weiter der Ansicht, dass Hn.® und Bn.® nicht als abschlagpflichtige Arzneimittel zu kennzeichnen sind und der so genannte Generikaabschlag nicht zu zahlen ist.

Am 6. Mai 2010 erhob die Klägerin zu 1) Klage vor dem Sozialgericht Gießen, um das Nichtbestehen einer Abschlags- und Kennzeichnungspflicht feststellen zu lassen. Mit Beschluss vom 20. Oktober 2010 verwies Soz...

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