Entscheidungsstichwort (Thema)
Asylbewerberleistung. Grundleistung. Bedarfssatz bei Unterbringung in einer Aufnahmeeinrichtung, Gemeinschaftsunterkunft oder vergleichbaren Unterkunft. Verfassungsmäßigkeit
Orientierungssatz
Die Kammer teilt die in der Rechtsprechung und Literatur geäußerten Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der vom Gesetzgeber in § 3a AsylblG geregelten neuen besonderen Bedarfsstufe für erwachsene Leistungsberechtigte, die in Aufnahmeeinrichtungen, Gemeinschaftseinkünften oder vergleichbaren Unterkünften untergebracht sind.
Tenor
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig für den Zeitraum vom 5. Mai 2020 bis 30. April 2021, längstens jedoch bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, Leistungen nach §§ 3, 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylblG in Höhe von 153 € (Regelbedarfsstufe 1), unter Anrechnung der bereits gezahlten Leistungen, zu zahlen.
Die Antragsgegnerin trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers zu 80%.
Dem Antragsteller wird für das erstinstanzliche Verfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt B. als Prozessbevollmächtigter beigeordnet.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt die Gewährung von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylblG) anhand der Regelbedarfsstufe 1.
Der Antragsteller hat die gambische Staatsangehörigkeit und wurde nach Beendigung der vorläufigen Inobhutnahme am 13. März 2020 der Aufnahmeeinrichtung in der A-Straße zugewiesen. Der Antragsteller gibt an, am 16. Juni 2002 geboren zu sein und ist daher auch nach eigenen Angaben nunmehr volljährig. Das Amt für Soziale Dienste geht von einem Geburtsdatum am 1. Januar 1992 und damit auch von der Volljährigkeit des Antragstellers aus. Des Weiteren verwendet der Antragsteller diverse Alias-Identitäten. Am 20. Februar 2020 hat der Antragsteller einen Asylantrag gestellt. Dieser ist - soweit ersichtlich - bisher nicht beschieden.
Mit Bescheid vom 17. März 2020 - persönlich am 17. März 2020 an den Antragsteller ausgehändigt - bewilligte die Antragsgegnerin Leistungen für den Zeitraum vom 13. März 2020 bis 31. März 2020 nach § 3 AsylblG i.H.v. 88,03 €.
Mit Schreiben vom 20. April 2020 legte der nunmehr anwaltlich vertretene Antragsteller Widerspruch gegen den Bescheid vom 17. März 2020 ein. Der Bescheid sei rechtswidrig, da lediglich Leistungen nach der Regelbedarfsstufe 2 bewilligt worden seien. Der Antragsteller habe Anspruch auf Leistungen nach der Regelbedarfsstufe 1, da die Regelung des § 3a Abs. 1 Nr. 2 lit. b, Abs. 2 Nr. 2 lit. b AsylblG evident verfassungswidrig sei. Der Bedarf des Antragstellers weiche nicht signifikant von dem eines Alleinstehenden ab. Die angenommene Abweichung sei weder hinreichend dargelegt, noch erfolgte die Feststellung der Bedarfe anhand verlässlicher Zahlen und eines tragfähigen schlüssigen Berechnungsverfahrens. Der in der Regelbedarfsstufe 2 für Paarhaushalte beinhaltete Gedanke der Einsparungen durch gemeinsames Wirtschaften „aus einem Topf“ lasse sich nicht auf Leistungsberechtigte in Sammelunterkünften übertragen. Die Voraussetzungen für ein gemeinsames Wirtschaften sei u.a. Vertrauen, dieses dürfte bei Fremden in einer Sammelunterkunft, die unterschiedlicher Herkunft sind und unterschiedliche Sprachen sprechen, nicht unmittelbar vorliegen. Auch dürfte sich kein Einspareffekt hinsichtlich der im Haushalt vorhandenen Gebrauchsgüter ergeben, da diese gesondert durch die Behörde erbracht werden und nicht Teil der Regelbedarfsstufe 1 sind.
Den Widerspruch wies die Antragsgegnerin mit Widerspruchsbescheid vom 22. Mai 2020 als unzulässig - verfristet - zurück. Der Antragsteller hat gegen diesen Bescheid keine Klage erhoben.
In der Folgezeit (am 20. Mai 2020 und 4. Juni 2020) zahlte die Antragsgegnerin dem Antragsteller Leistungen per Scheck i.H.v. je 139 € aus. Des Weiteren gewährte sie mit Bescheid vom 19. Mai 2020 eine Bekleidungspauschale.
Der Antragsteller hat am 5. Mai 2020 den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Am 26. Juni 2020 legte er Widerspruch gegen alle noch anfechtbaren Bescheide über laufende Leistungen nach dem AsylblG ein.
Zur Begründung seines Eilantrages führt der Antragsteller aus, er lebe in einer Gemeinschaftsunterkunft und beziehe Leistungen nach § 3 AsylblG. Einen schriftlichen Bescheid habe er bisher nicht erhalten. Dennoch habe er mit Schreiben vom 20. April 2020 Widerspruch gegen die Bescheide vom 17. März 2020 eingelegt. Die Regelung des § 3a Abs. 1 Nr. 2 lit. b AsylblG sei evident verfassungswidrig. Insoweit wiederholte der Antragsteller seine Ausführungen aus dem Widerspruch, wobei er von einer Leistungsgewährung nach § 2 AsylblG ausgeht. Der Antragsteller verweist auf die Entscheidungen des SG Landshut - S 11 AY 64/19 ER, des SG Freiburg - S 9 AY 4605/19 ER, des SG Dresden - S 20 AY 86/19 ER und des SG München - S 42 AY 4/20 ER. Die Gerichte teilen die Bedenken hinsichtlich der Verfassungswidrigkeit. Für die Eingruppierung in die Regelbedarfsstufe 1
hätten...