Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosengeld II. Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung. Laktoseunverträglichkeit. Fruktoseunverträglichkeit. Nahrungsmittelallergien. Einzelfallprüfung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Hilfebedürftige, die an einer Laktoseintoleranz leiden, haben Anspruch auf die Gewährung eines Mehrbedarfes gem § 21 Abs 5 SGB 2 in Höhe von 53,00 Euro.

2. Zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen Hilfebedürftige bei Vorliegen einer Fruktoseintoleranz bzw bei Nahrungsmittelallergien Anspruch auf Gewährung eines Mehrbedarfes gem § 21 Abs 5 SGB 2 haben.

 

Tenor

Die Antragsgegnerin wird im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet, dem Antragsteller in der Zeit vom 4. November 2009 bis zum 31. März 2010 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs in Höhe von 53,00 Euro im Monat zu gewähren. Die Auszahlung der Leistungen erfolgt vorläufig. Sie stehen unter dem Vorbehalt der Rückforderung.

Im Übrigen - soweit der Antragsteller darüber hinaus weitere 18,80 Euro im Monat begehrte - wird der Antrag abgelehnt.

Die Antragsgegnerin trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers zu 74 vom Hundert.

Dem Antragsteller wird Prozesskostenhilfe - ohne Ratenzahlung - unter Beiordnung von Rechtsanwalt R., A-Stadt, bewilligt.

 

Gründe

I.

Der Antragsteller (Ast.) begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Gewährung eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung gem. § 21 Abs. 5 SGB II wegen einer Laktoseintoleranz, einer Fruktoseintoleranz sowie verschiedenen Nahrungsmittelallergien (gegen Erdnuss, Haselnuss, Sellerie, Roggen, Tomaten und - ab einer bestimmten Menge - gegen andere Getreidemehle).

Der heute 33 Jahre alte ledige Antragsteller steht seit 2005 im laufenden Leistungsbezug bei der Antragsgegnerin, der Trägerin der Grundsicherung in A-Stadt. Zuletzt bewilligte die Antragsgegnerin dem Antragsteller Leistungen für die Zeit vom 1. Oktober 2009 bis zum 31. März 2010 in Höhe von 691,30 Euro monatlich. Bereits mit Schreiben vom 22. November 2004 beantragte er die Gewährung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung (Bl. 34). Zur Begründung erklärte er, das Sozialamt habe bisher eine Krankenkostzulage übernommen. Er fügte eine ärztliche Bescheinigung seiner Hausärztin vom 4. Oktober 2004 (Bl. 36) bei, nach der er an Hypertonie, kardialen und renalen Ödemen und chronischem Reflux leidet. Die Antragsgegnerin gewährte dem Antragsteller darauf einen Mehrbedarf in Höhe von 25,56 Euro im Monat (Bescheid vom 16. März 2005, Bl. 58, Bescheid vom 17. Mai 2008, Bl. 208). Im Juli 2007 absolvierte der Antragsteller auf Kosten der Rentenversicherung eine Rehabilitationsmaßnahme. Seit Januar 2008 nimmt der Antragsteller auf Kosten der Antragsgegnerin an einer Umschulung zum Bürokaufmann teil. Mit Weiterbewilligungsantrag vom 17. August 2009 (Bl. 222) machte der Antragsteller die Gewährung eines Mehrbedarfes für kostenaufwändige Ernährung geltend. Er legte eine Bescheinigung seiner Hausärztin vom 13. August 2009 bei, nach der er an einer Laktoseintoleranz, Fruktoseintoleranz und einer Nahrungsmittelkreuzallergie leidet, weshalb er auf laktose- bzw. fruktosefreie Kost bzw. Diät angewiesen sei. Wegen der Nahrungsmittelallergie sei er auf einen Verzicht bzw. auf eine Diät hinsichtlich der in der Anlage aufgeführten Lebensmittel angewiesen. Anliegend wurde ein Allergiekalender über Pollen- und Sporenflug, pollenflugassoziierte Nahrungsmittel und Insekten übersandt. Mit Bescheid vom 19. August 2009 (Bl. 227) lehnte die Antragsgegnerin die Weitergewährung des Mehrbedarfs ab. Zur Begründung erklärte sie, der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge gebe regelmäßige Empfehlungen aus, für welche Krankheiten aus medizinischen Gründen ein erhöhter Ernährungsbedarf bestehe. Nach bisherigen medizinischen Erkenntnissen bestehe für die beim Antragsteller festgestellte Krankheit kein erhöhter Ernährungsbedarf. Am 28. August 2009 erhob der Antragsteller Widerspruch. Zur Begründung verwies er auf die von ihm beigefügten Empfehlungen des Deutschen Vereins, die sich weder zur Laktose-, noch zur Fruktoseintoleranz und auch nicht zu den Nahrungsmittelallergien abschließend äußern. Der Antragsteller verwies darauf, dass in den Empfehlungen bezüglich der Nahrungsmittelallergien vielmehr eine Prüfung durch den Grundsicherungsträger empfohlen werde. Der Antragsteller erklärte, dass seine Erkrankung mit der Zöliakie vergleichbar sei, bei der nach den Empfehlungen ein Mehrbedarf zu gewähren ist. Seine Ernährung sei wegen der Verbindung der Krankheiten und Allergien sehr schwierig. Er benötige besonders teure Lebensmittel, und habe hierdurch insgesamt einen höheren Kostenaufwand. Mit Schreiben vom 2. September 2009 lehnte die Antragsgegnerin eine Überprüfung des Bescheides vom 19. August 2009 gem. § 44 SGB X ab. Eine Überprüfung habe ergeben, dass der Bescheid nicht zu beanstanden sei. Hiergegen erhob der Antragsteller mit Anwaltsschreiben am 10. September 2009 Wi...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?