Entscheidungsstichwort (Thema)
Schwerbehindertenrecht. Ausländer. Duldung. gewöhnlicher Aufenthalt iS des § 2 Abs 2 SGB 9
Leitsatz (amtlich)
Als rechtmäßiger gewöhnlicher Aufenthalt iSd § 2 Abs 2 SGB 9 ist auch der nach § 60a AufenthG geduldete Aufenthalt einer Ausländerin oder eines Ausländers anzusehen, wenn diese/r in der Bundesrepublik Deutschland den Mittelpunkt ihrer/seiner Lebensbeziehungen hat und - beispielsweise wegen der politischen Verhältnisse im Heimatland oder aus gesundheitlichen Gründen - in absehbarer Zeit nicht mit einer Abschiebung zu rechnen braucht. Insofern ist es durch Inkrafttreten des AufenthG nicht zu einer Rechtsänderung gekommen.
Tenor
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 26. Januar 2004 i.d.F. des Widerspruchsbescheides vom 22. April 2004 verurteilt, bei der Klägerin einen GdB von 90 sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Nachteilsausgleiche "G" und "B" seit dem 6. Oktober 2003 festzustellen.
Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.
Tatbestand
Streitig ist die Feststellung des Grades der Behinderung (GdB) der Klägerin nach dem Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX).
Die 1949 geborene Klägerin ist eine Roma und stammt aus dem Kosovo. Seit dem 17. November 2001 lebt sie in der Bundesrepublik Deutschland. Das Stadtamt A-Stadt erteilt ihr seit Jahren aufeinander folgende, jeweils auf sechs Monate befristete Duldungen, beruhend auf entsprechenden Erlassen des Senators für Inneres und Sport. Zuletzt hat der Senator für Inneres und Sport in dem Erlass 05-12-01 vom 1. Januar 2006 festgestellt, dass die Rückführung von Roma in das Kosovo nach wie vor aus tatsächlichen Gründen nicht möglich sei und Angehörigen dieser Minderheit gem. § 60a Abs.2 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (AufenthG) zunächst befristet bis zum 30. Juni 2006 Duldungen zu erteilen seien.
Am 6. Oktober 2003 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Feststellung ihrer Behinderungen nach dem SGB IX. Durch Bescheid vom 26. Januar 2004 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin ab mit der Begründung, nach § 2 SGB IX seien Menschen schwerbehindert, wenn bei ihnen ein GdB von wenigstens 50 vorliege und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzes hätten. Die Klägerin sei in der Bundesrepublik Deutschland geduldet. Sie sei zur Ausreise verpflichtet, jedoch habe die Abschiebung aus von ihr zu vertretenden Gründen noch nicht durchgeführt werden können. Sie gehöre damit nicht zu dem nach § 2 SGB IX anspruchsberechtigten Personenkreis.
Den dagegen am 4. März 2004 eingelegten Widerspruch der Klägerin verwarf die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 22. April 2004 als unzulässig.
Hiergegen richtet sich die am 19. Mai 2004 erhobene Klage, mit der die Klägerin die Feststellung eines GdB von 90 sowie der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Nachteilsausgleiche "erhebliche Gehbehinderung" ("G") und "Notwendigkeit ständiger Begleitung" ("B") begehrt. Die Klägerin hat gleichzeitig mit der Klageerhebung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Widerspruchsfrist beantragt. Durch Beschluss vom 17. Mai 2005 ist ihr die beantragte Wiedereinsetzung gewährt worden.
Das Gericht hat einen Befundbericht des Arztes für Allgemeinmedizin Dr. GN. vom 18. Juni 2005 eingeholt und einen Entlassungsbericht des Rote Kreuz Krankenhauses über eine stationäre Behandlung der Klägerin vom 19. Februar 2003 bis zum 25. März 2003 beigezogen. In beiden Berichten ist bestätigt worden, dass die Klägerin unter einem fortgeschrittenen Morbus Bechterew mit erheblicher Kyphoskoliose und vollständiger Wirbelsäulenversteifung leidet und überdies eine Herzleistungsminderung vorliegt.
Die Klägerin ist der Auffassung, dass sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland habe und beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 26. Januar 2004 i.d.F. des Widerspruchsbescheides vom 22. April 2004 zu verurteilen, bei ihr einen GdB von 90 sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Nachteilsausgleiche "G" und "B" seit dem 6. Oktober 2003 festzustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Unter Bezugnahme auf eine vorgelegte versorgungsärztliche Stellungnahme vom 7. Dezember 2005 vertritt sie die Ansicht, dass zwar die medizinischen Befunde für die Feststellung eines GdB von 90 sowie der Nachteilsausgleiche "G" und "B" ausreichten, dass aber nach der neuen Rechtslage des AufenthG im Gegensatz zu der vorherigen Rechtslage nach dem AuslG eine Duldung nicht mehr zu einem rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalt i.S. d. § 2 Abs. 2 SGB IX führen könne und daher eine Feststellung nicht zu treffen sei.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird Bezug genommen auf die Prozessakte und die Verwaltungsakten der Beklagten. Diese Unterlagen haben vorgelegen und waren Grundlage der Entsc...