Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Sonderbedarf. Erstausstattung für Bekleidung. Haftentlassener. Fehlen wesentlicher Elemente der Bekleidungsgrundausstattung. Verschulden. Verwirkung. Anspruch auf Geldleistung. Ermessensreduzierung bei Bindung an Verwaltungsvorschrift. Gleichbehandlung
Orientierungssatz
1. Das Fehlen einzelner Bekleidungsstücke, kann keinen Anspruch auf Leistungen nach § 24 Abs 3 S 1 Nr 2 SGB 2 auslösen. Ein Anspruch auf Leistungen zur Erstausstattung für Bekleidung besteht jedoch, wenn einem Haftentlassenen wesentliche Elemente der Bekleidungsgrundausstattung (hier Winter- und Übergangskleidung sowie Leibwäsche) fehlen. Die Grundausstattung an Bekleidung muss dem Hilfebedürftigen ein mehrfaches Wechseln der Kleidung innerhalb einer Woche und zwar entsprechend der Witterungsverhältnisse ermöglichen.
2. Verschuldensgesichtspunkte dürfen nicht schon bei der Feststellung des Bedarfs berücksichtigt werden, weil der im SGB 2 zu deckende Bedarf grundsätzlich aktuell bestehen muss und auch aktuell vom Grundsicherungsträger zu decken ist (vgl BSG vom 27.9.2011 - B 4 AS 202/10 R = SozR 4-4200 § 23 Nr 13).
3. Besteht der Bekleidungsbedarf aktuell, so ist es auch unschädlich, dass er erst 9 Monate nach der Haftentlassung geltend gemacht wurde.
4. Das Auswahlermessen des Grundsicherungsträgers gem § 24 Abs 3 S 5 SGB 2 ist auf Null reduziert, wenn der Grundsicherungsträger durch interne Verwaltungsrichtlinien dahingehend gebunden ist, für die Bekleidungserstausstattung stets Geldleistungen (in pauschalierter Höhe) zu erbringen. Gelten solche Verwaltungsvorschriften, so stellt die Ablehnung einer Geldleistung einen Ermessensfehlgebrauch und eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes dar.
Tenor
I. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig eine Erstausstattung für Bekleidung in Höhe 175,00 € zu gewähren . Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
II. Der Antragsgegner hat die Hälfte der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers zu erstatten.
Gründe
Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Gewährung einer Erstausstattung für Bekleidung im Rahmen seines Leistungsbezuges nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Den Antrag des Antragstellers lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 14.06.2012 ab. Der Antragsteller legte hiergegen am 17.06.2012 Widerspruch ein und stellte am 23.07.2012 einen Eilantrag bei Gericht.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig und im tenorierten Umfang auch begründet.
Nach § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) können die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn die Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dazu ist gemäß § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) sowohl der durch die Anordnung zu sichernde, im Hauptsacheverfahren geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) als auch der Grund, weshalb die Anordnung so dringlich ist, dass dieser Anspruch vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache gesichert werden muss (Anordnungsgrund), glaubhaft zu machen.
Ein Anordnungsanspruch ist glaubhaft gemacht, wenn das Gericht aufgrund einer vorläufigen, summarischen Prüfung zu der Überzeugung gelangt, dass eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass dem Antragsteller ein Rechtsanspruch auf die begehrte Leistung zusteht und deshalb der Antragsteller in einem Hauptsacheverfahren mit dem gleichen Begehren voraussichtlich Erfolg haben würde. Dabei wird der Sachverhalt gemäß § 103 SGG von Amts wegen unter Heranziehung der Beteiligten ermittelt, soweit dies unter Berücksichtigung der Eilbedürftigkeit des Rechtschutzbegehrens geboten ist (Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 4. Auflage, 1998, Rdnr. 152 ff.).
Dies zugrunde gelegt hat der Antragsteller einen Anordnungsanspruch hinsichtlich der Gewährung einer Erstausstattung für Bekleidung glaubhaft gemacht.
Bei dem vom Antragsteller geltend gemachten Anspruch auf Bekleidungserstausstattung nach § 24 Abs 3 Satz 1 Nr 2 SGB II handelt es sich um einen eigenständigen, abtrennbaren Streitgegenstand, über den isoliert und unabhängig von den übrigen Grundsicherungsleistungen entschieden werden kann. Deshalb war nicht zu überprüfen, ob die im Übrigen gewährten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II der Höhe nach richtig bemessen waren (vgl. BSG, Urteil vom 19.09.2008, B 14 AS 64/07 R). Die Höhe der laufenden Regelleistungen für den Bewilligungsabschnitt, für den auch der Sonderbedarf geltend gemacht wird, hat der Antragsteller nicht angegriffen. Nach den vorliegenden Unterlagen ist der Antragsteller jedenfalls leistungsberechtigt nach § 7 Abs. 1 SGB II.
Die Voraussetzungen für einen von dem Antragsteller als einmalige Leistung geltend gemachten Anspruc...