Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Kostenerstattung. Liposuktion. Systemmangel
Orientierungssatz
Kann eine durch die Krankenkasse empfohlene und finanzierte komplexe physikalische Entstauungstherapie das Lipödem einer Versicherten weder heilen noch dessen Verschlimmerung verhüten, so hat die Kasse die Kosten für eine Liposuktion beider Oberschenkel zu erstatten.
Tenor
I. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 10.12.2009 und des Widerspruchsbescheides vom 06.05.2010 verurteilt, der Klägerin die Kosten für eine Liposuktion beider Oberschenkel zu erstatten.
II. Die Beklagte hat der Klägerin deren notwendig entstandene außergerichtliche Kosten zu erstatten.
Tatbestand
Streitig ist die Kostenerstattung für eine Liposuktion.
Die am 00.00.1978 geborene Klägerin beantragte am 09.11.2009 die Kostenübernahme für eine Liposuktion.
Der Medizinische Dienst der Krankenkasse (MDK) führte am 30.11.2009 eine Begutachtung der Klägerin durch. Im Gutachten vom 04.12.2009 diagnostizierte der MDK ein Lipödem beidseits im Stadium I. Objektivierbare Funktionsstörungen, die eine medizinische Indikation für eine Operation darstellen, lägen nicht vor. Es handele sich um keine Erkrankung im Sinne des SGB V. Empfohlen werde eine konservative Therapie (KPE, komplexe physikalische Entstauungstherapie) und die Weiterbehandlung in der phlebologischen ambulanten Praxis.
Dementsprechend lehnte die Beklagte mit streitigem Bescheid vom 10.12.2009 die beantragte Kostenübernahme ab.
Dagegen legte die Klägerin am 16.12.2009 Widerspruch mit der Begründung ein, der MDK habe sie nur oberflächlich untersucht. Zwar sei sie mit Kompressionsstrumpfhosen versorgt. Jedoch verursache der starke Druck dieser Kompressionsstrumpfhose Schmerzen in den Beinen.
Im Gutachten nach Aktenlage vom 15.02.2010 blieb der MDK bei seiner Einschätzung. Die Liposuktion sei ein Verfahren nach kosmetischer Chirurgie.
Mit Stellungnahme vom 23.02.2010 wies die Klägerin auf die medizinische Einschätzung vom 23.02.2010 von Herrn Dr. med. K. , Facharzt für Chirurgie, hin. Danach werde die Kompression schwer toleriert. Unter Kompression nehme die Fettgewebsdicke sogar zu.
Im Vermerk vom 03.03.2010 stellte die Beklagte fest, dass die beantragte Methode der “Liposuktion„ (Fettabsaugung) derzeit nicht Bestandteil der vertragsärztlichen Versorgung sei. Lediglich in eng begrenzten Ausnahmefällen könne für (noch) nicht anerkannte neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden ein Leistungsanspruch bestehen. Eine Möglichkeit sei, dass die von der Rechtsprechung festgelegten Voraussetzungen für die Annahme eines sogenannten “Systemmangels„ erfüllt seien. Ein Systemmangel könne grundsätzlich nur durch ein Gericht festgestellt werden.
Auf Blatt 37 der Verwaltungsakte der Beklagten findet sich eine Patienteninformation zum Lipödem von Dr. med. S. und Dr. med. B., mit Stand 09.04.2010. Das Krankheitsbild Lipödem sei erst seit einigen Jahren als solches erkannt und definiert worden. Nach der medizinischen Definition sei es gekennzeichnet durch Vermehrung und ödematöse Veränderungen des Unterhautfettgewebes sowie Fettverteilungsstörungen vor allem an Ober- und Unterschenkeln. Auffallend sei weiterhin eine vermehrte Schmerzhaftigkeit und Berührungsempfindlichkeit sowie die Neigung zu Blutergüssen bei nur leichtem Anstoßen. Zu den Therapiemöglichkeiten wird dort darauf hingewiesen, dass eine Entstauungstherapie mit Lymphdrainagen und darauf folgendem Anlegen straffer Kompressionsverbände bzw. von Kompressionstrümpfen lange als einzige Therapieoption beim Lipödem galten. In den letzten 10 Jahren habe sich aber die Liposuktion (Absaugung des vermehrten Fettgewebes) als Therapie etabliert und gelte heutzutage als sichere und effektive Therapiealternative bei Beachtung der Voraussetzungen:
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- Behandlung durch erfahrenen Liposuktions-Chirurgen |
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- Behandlung mit neuester, maximal gewebeschonender Operationstechnik |
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- Absaugung streng in Körperlängsachse |
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- immer symmetrische Behandlung der Extremitäten. |
Dann könne das Krankheitsbild mit gutem Erfolg durch eine bzw. meist mehrere Liposuktionen behandelt werden. Nur für einen Zeitraum von mindestens 8 Wochen nach der Operation werde empfohlen, Kompressionsdressings zu tragen. Danach seien aber Kompressionsstrümpfe und -verbände nicht mehr nötig.
Die Beklagte folgte der Einschätzung des MDK und wies den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 06.05.2010 als unbegründet zurück. Die Beklagte ging auch im Widerspruchsbescheid davon aus, dass ein Lipödem Stadium I vorliege.
Dagegen hat die Klägerin über ihre Bevollmächtigte am 21.05.2010 Klage erhoben. Der Gesundheitszustand der Klägerin verschlechtere sich laufend. Die von der Beklagten empfohlene Therapie zeige damit keine Wirkung.
Unter dem gleichen Datum beantragte die Klägerin über ihre Bevollmächtigte die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes. Der weitere Schriftverkehr und die Ermittlungen des Gerichts wurden daher unter dem Az.: S 10 KR 186/10 ER geführt.
In seiner Einschätzung vo...