Entscheidungsstichwort (Thema)
Schwerbehindertenrecht. Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft. GdB 50 bei stoffwechsellabiler Diabetes-Erkrankung. ausgeprägte Hypoglykämie
Leitsatz (amtlich)
Liegt bei einer Diabetes-Erkrankung trotz intensiver Insulinpumpentherapie eine instabile Stoffwechsellage vor, begründet dies die Schwerbehinderteneigenschaft (GdB 50).
Orientierungssatz
Unter "ausgeprägten" Hypoglykämien sind solche zu verstehen, die zu Symptomen führen, die objektiv vom Diabetiker nicht zu beherrschen sind. Hypoglykämien, die ohne warnende Symptomatik zu Bewusstseinsstörungen führen und ein Fremdeingreifen erforderlich machen, sind "ausgeprägt". Unterzuckerungen, die sich nur messtechnisch nachweisen lassen ohne die og Symptomatik oder die zu warnenden Symptomen führen, die den Diabetiker veranlassen, gegenregulierende Maßnahmen zu ergreifen, sind in der Regel nicht "ausgeprägt", sondern häufig Merkmal einer erwünscht "engen" Blutzuckereinstellung.
Tenor
I. Der Bescheid des Beklagten vom 13.06.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.10.2008 wird insoweit aufgehoben, als der Beklagte verurteilt wird, beim Kläger ab dem 24.04.2008 einen GdB von 50 festzustellen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Der Beklagte erstattet dem Kläger seine notwendigen außergerichtlichen Kosten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Höhe des bei dem Kläger festzustellenden Grades der Behinderung (GdB).
Der am ...1980 geborene Kläger leidet seit seinem 2. Lebensjahr u.a. an einem insulinpflichtigem Diabetes mellitus Typ I, der seit 2006 mittels einer Insulinpumpe eingestellt wird. Er muss auf Grund seiner arbeitsmäßigen alltäglichen Belastung bis zu zehnmal täglich den Blutzuckerspiegel messen. Weiter muss er darauf achten, regelmäßig zu essen und Diät zu halten. Er muss täglich 4 Mahlzeiten einnehmen. Sofern er beabsichtigt Sport zu treiben, muss er zuvor zusätzlich beispielsweise eine Banane essen, und den Blutzuckerspiegel nachmessen, um Unterzuckerungen vorzubeugen. Nach den Mahlzeiten muss der Kläger jeweils den Blutzuckerspiegel messen und anschließend, abhängig von der zuvor eingenommenen Mahlzeit zusätzlich Insulin zuführen. Die Berechnung der notwendigen Insulindosis erfolgt nach jeder Mahlzeit individuell.
Auf den Antrag des Klägers von 20. Februar 2007 auf Feststellung von Behinderungen und eines GdB stellte der Beklagte nach versorgungsärztlicher Auswertung der ihm vorliegenden ärztlichen Unterlagen mit Bescheid vom 13.06.2007 fest, dass keine Änderung der Verhältnisse im Vergleich zu dem Bescheid vom 19.07.2001 eingetreten sei und der GdB deshalb nicht erhöht werden könne. Als Behinderungen seien aber nunmehr eine Insulindosierpumpe bei Zuckerkrankheit anstatt zuvor eine Zuckerkrankheit (mit Diät und Insulin einstellbar) und Bluthochdruck zu tenorieren. Zuvor war ein Befundbericht des Dr. G. vom 09.03.2007 beigezogen worden, aus dem hervorging, dass der Kläger unter einem labilen Stoffwechsel leide, der seit 2006 mittels einer Insulinpumpe eingestellt werde. Der HbA1c- Wert habe am 23.01.2007 7,9% betragen. Der Blutdruck sei medikamentös gut eingestellt. Es sei jedoch bereits eine diabetische Retinopathie vorhanden.
Im Widerspruchsverfahren zog der Beklagte den Entlassungsbericht des Klinikums K. vom 17.10.2007 bei. Darin wird ein labiler Stoffwechsel bei einem damaligen HbA1c-Wert von 8,4% beschrieben. Der angestrebte Blutzuckerwert beim Kläger betrage 8 mmol/l, um die körperliche und emotionale Belastung des Klägers im täglichen Leben durch seine Berufstätigkeit erhalten zu können und um Hypoglykämien vorbeugen zu können.
Nachdem versorgungsärztlicherseits weiterhin ein GdB von 40 für die Zuckerkrankheit vorgeschlagen wurde und auch die weiteren Erkrankungen keinen GdB von mehr als 10 begründen sollten, wies der Kommunale Sozialverband Sachsen (KSV) mit Widerspruchsbescheid vom 22.10.2008 den Widerspruch zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt, der GdB sei mit 40 zutreffend bewertet, da keine Komplikationen oder Hypoglykämien, die fremde Hilfe erfordert hätten, nachgewiesen seien. Folgende Funktionsbeeinträchtigungen (die verwaltungsintern mit den sich aus den Klammerzusätzen ergebenden Einzel-GdB bewertet wurden) führten zu dem Gesamt-GdB von 40:
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a) Diabetes mellitus (40), |
b) Bluthochdruck, (10), |
c) Sehminderung (0), |
Am 24.11.2008 erhob der Kläger zum Sozialgericht Chemnitz die auf Zuerkennung eines GdB von mindestens 50 gerichtete Klage.
Zur weiteren Sachaufklärung zog das Gericht weitere medizinische Berichte bei. Aus dem Befundbericht des Dr. G. vom 16.03.2009 ging hervor, dass der Kläger unter einem ausgeprägt labilen Stoffwechsel leidet. Der HbA1c-Wert habe am 11.02.2009 8,2% betragen. Es käme gelegentlich zu Unterzuckerungen, die zu Unwohlsein des Klägers führten. Im Wesentlichen sei der Kläger aber gut belastbar und leistungsfähig. Aus einem Befundbericht der Allgemeinmedizinerin Dr. L. folgte, dass der Blutdruck gut eingestellt sei. Aus dem beigefügtem Laborblatt gehen Schwankungen...