Entscheidungsstichwort (Thema)

Minderung des Arbeitslosengeld II. Verletzung der Meldepflicht. Meldeversäumnis durch Irrtum im Meldedatum. geringfügiges folgenloses Versehen. Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Erforderlichkeit der Sanktion

 

Orientierungssatz

1. Ein geringfügiges, folgenloses Versehen des Arbeitsuchenden (hier: Verwechseln des Meldetermins zur Abfrage des geplanten Endes der Elternzeit) rechtfertigt nach dem Verwaltungshandeln bestimmenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht die Minderung des Arbeitslosengeldes II nach § 31 Abs 2 SGB 2.

2. Die Meldeaufforderung verbunden mit einer Sanktionsandrohung muss zur Erreichung des konkreten Meldezwecks erforderlich, geeignet und angemessen sein, weshalb eine persönliche Meldung nur dann angemessen ist, wenn der Meldezweck nicht mit milderen Mitteln, zB auf telefonischem Weg erreicht werden kann.

 

Tenor

I. Der Sanktionsbescheid vom 19.01.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.05.2011, Az.: W 000/11 wird aufgehoben.

II. Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

 

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen den Vorwurf der Verletzung der Meldepflicht.

Am 09.11.2010 verfügte der Beklagte eine Einladung der Klägerin auf den 24.11.2010, 11.00 Uhr in die AGE Vogtlandkreis - Plauen, Zimmer 0... mit dem Ziel “Kontakt während der Elternzeit„. Zugleich verwies er darauf, dass ihr Arbeitslosengeld um 10% der für die Klägerin nach § 20 Zweites Buch Sozialgesetzbuch maßgebenden Regelleistungen für die Dauer von drei Monaten abgesenkt wird, wenn sie ohne wichtigen Grund dieser Einladung nicht Folge leistet.

Die Klägerin erschien zum Meldetermin am 24.11.2010 nicht, sondern zur gleichen Uhrzeit am 25.11.2010, 11.00 Uhr. Am 25.11.2010 wies die Klägerin darauf hin, dass die Elternzeit 3 Jahre in Anspruch genommen werde.

Nach vorheriger Anhörung am 05.01.2011 erließ der Beklagte am 19.01.2011 den streitgegenständlichen Sanktionsbescheid, der das der Klägerin zustehende Arbeitslosengeld für die Zeit vom 01.02.2011 bis 30.04.2011 monatlich um 10 v. H. der maßgebenden Regelleistungen absenkte. Die Absenkung belief sich auf 32,30€ monatlich. Die Begründung der Klägerin in ihrer Anhörung, den Wochentag einfach verwechselt zu haben, stelle bei Abwägung der persönlichen Einzelinteressen mit denen der Allgemeinheit keinen wichtigen Grund im Sinne des § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB II dar.

Gegen den Sanktionsbescheid vom 19.01.2011 erhob der Prozessbevollmächtigte der Klägerin am 18.02.2011 Widerspruch, der mit Widerspruchsbescheid vom 16.05.2011 zurückgewiesen wurde.

Hiergegen hat der Prozessbevollmächtigte am 20.06.2011 Klage erhoben. Die Klägerin ist zwar erst einen Tag später erschienen, gleichwohl habe der Zweck der Vorladung erfüllt werden können.

Ergänzend führte er unter Verweis auf §§ 59 SGB II i.V.m. § 309 SGB III aus, dass der Meldezweck “Kontakt während der Elternzeit„ nicht vom Katalog des § 309 Abs. 2 SGB III erfasst sei. Ein sanktionsbewehrter Meldetermin allein zur Klärung der Frage, ob die Elternzeit verlängert worden sei, sei unverhältnismäßig, da die Antwort bereits telefonisch einfach zu erlangen gewesen sei.

Die Klägerin beantragt,

der Sanktionsbescheid vom 19.01.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides wird aufgehoben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Absenkung einer Grundsicherungsleistung um 10 % bereits bei erstmaliger Verletzung einer Meldepflicht verstoße nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Das Gesetz trägt dem Umstand, dass es sich um ein einmaliges Versäumnis gehandelt hat, dadurch Rechnung, dass es eine Absenkung von lediglich 10 % vorsieht.

Das Gericht hat die Leistungsakten des Beklagten beigezogen. Diese sowie die in der Klageakte enthaltenen Schriftsätze der Beteiligten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. In dieser schilderte die Klägerin ergänzend, dass sie die Einladung sorgfältig gelesen hat und wie alle Schreiben mit wichtigen Terminen, mit Magneten an ihre Kühlschranktür geheftet hat, um sich die Daten zu vergegenwärtigen. Insoweit wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung sowie auf den übrigen Akteninhalt zur Ergänzung des Tatbestandes verwiesen.

 

Entscheidungsgründe

Die form- und fristgerecht eingelegte isolierte Anfechtungsklage, § 54 Abs.1 1. Alt. SGG ist zulässig und sachlich begründet.

Die Klägerin ist beschwert, da die streitgegenständlichen Bescheide rechtswidrig sind und sie daher in ihren Rechten verletzen, § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG.

Rechtsgrundlage für die Minderung des Arbeitslosengeldes II mit Bescheid vom 19.01.2011 ist § 31 Abs. 2 (1. Alternative) SGB II (eingeführt durch Art. 1 Nr. 16 Buchst. a des Gesetzes zu optionalen Trägerschaft von Kommunen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (Kommunales Optionsgesetz) v. 30.07.2004, i. d. F. d. Art. 1 a Nr. 2 Buchst. c des Gesetz für Bessere Beschäftigungschancen am Arbeitsmarkt (Beschäftigungschancengesetz) v. 24.10.2010).

Danach wird das Arbeitslosengeld II in der ersten Stufe um 10 vom Hundert der für den erwerbsfähi...

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