Entscheidungsstichwort (Thema)

Höhe der Erstattung der Vorverfahrenskosten. keine Anwendung der Regelungen bei Teilobsiegen des § 92 ZPO. Erstattung der Kosten nach Erfolgsquote. Nichtbezifferung der Anspruchshöhe durch Widerspruchsführer

 

Orientierungssatz

1. Die Regelung des § 63 SGB 10 über die Erstattung der Kosten des Widerspruchsverfahrens stellt eine vorrangige Regelung zu § 92 ZPO dar, so dass auch bei geringfügigem Obsiegen des Widerspruchsführers Vorverfahrenskosten zu erstatten sind.

2. Auch wenn ein Widerspruch vom Bevollmächtigten nicht begründet bzw der geltend gemachte Anspruch nicht der Höhe nach beziffert wurde, sind - nach Änderung des angegriffenen Bescheides zugunsten des Widerspruchsführers - die Vorverfahrenskosten gem § 63 SGB 10 nicht in voller Höhe, sondern nur im Verhältnis einer durch Vergleich der Anspruchshöhe vor und nach dem Widerspruch zu berechnenden Erfolgsquote zu erstatten.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 12.06.2013; Aktenzeichen B 14 AS 68/12 R)

 

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten für das Klageverfahren nicht zu erstatten.

III. Die Sprungrevision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt von dem Beklagten noch die Übernahme ihrer (vollen) Kosten für das Widerspruchsverfahren.

Die ... 1968 geborene Klägerin bezieht vom Beklagten Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitssuchende - (SGB II). Im Rahmen des Bezuges erhielt sie unter anderem den Änderungsbescheid vom 27. Oktober 2011, durch den ihr Leistungen für den Zeitraum Oktober 2011 in Höhe von 506,79 Euro und für November 2011 in Höhe von 540,00 Euro bewilligt wurden. Mit einem weiteren Änderungsbescheid vom 27. Oktober 2011 wurden der Klägerin für den Zeitraum 1. Dezember 2011 bis 29. Februar 2012 vorläufige Leistungen in Höhe von monatlich 281,00 Euro bewilligt. Gegen diese Änderungsbescheide erhob ihr Verfahrensbevollmächtigter Widerspruch. Unter dem 27. November erging ein weiterer Änderungsbescheid durch den der Klägerin nunmehr monatlich 291,88 Euro für den Zeitraum 1. Januar 2012 bis 29. Februar 2012 bewilligt wurden und welchen der Beklagte unter Verweis auf § 86 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zum Gegenstand des Vorverfahrens gemacht hat.

Mit Änderungsbescheid vom 4. Januar 2012, wurden die Leistungen für Dezember 2011 auf 291,60 Euro, für Januar 2012 auf 302,48 Euro und für Februar 2012 auf 332,48 Euro festgesetzt. Auch diesen bezog der Beklagte unter Verweis auf § 86 SGG in das Vorverfahren mit ein.

Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens veranlasste die Widerspruchsbehörde den Erlass des Änderungsbescheides vom 16. Februar 2012, durch den die Leistungen für Januar 2012 auf 314,48 Euro und für Februar 2012 auf 280,88 Euro festgesetzt wurden. Auch dieser Bescheid wurde vom Beklagten in das Vorverfahren einbezogen.

Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens begründete der Bevollmächtigte seinen Widerspruch nicht weiter. Insbesondere gab er nicht zu erkennen in welcher Höhe er die streitgegenständlichen Leistungen für rechtmäßig erachten würde.

Mit Widerspruchsbescheid vom 23. Februar 2012 änderte der Beklagte die Änderungsentscheidungen ab und entschied, dass Kosten des Vorverfahrens in Höhe von 30 % zu erstatten seien, die Hinzuziehung des Bevollmächtigten aber nicht notwendig gewesen wäre.

Mit ihrer am 6. März 2012 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Ziel auf volle Kostenerstattung weiter. Der Bevollmächtigte der Klägerin ist der Auffassung, dass die Anwendung der Geringfügigkeitsregelung des § 92 ZPO im Geltungsbereich des § 63 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) ausgeschlossen ist. Der Klägerin seien daher die Kosten der Rechtsverfolgung dem Grunde nach zu erstatten. Die Erstattung hat auch zu 100% zu erfolgen. Der Bevollmächtigte hatte durch die Einlegung des Widerspruches deutlich gemacht einen rechtmäßigen Bescheid zu begehren. Diesen habe er durch die Entscheidung im Widerspruchsverfahren bekommen, so dass sein Widerspruch auch zu 100% erfolgreich war. Eine Quotelung verbiete sich daher, wenn, wie hier, kein bezifferter Antrag gestellt werde. Dies folge nicht zuletzt auch zwingend aus der Regelung des § 63 Absatz 1 S. 2 SGB X. Hier hat der Gesetzgeber einen Fall des nicht quotelbaren Widerspruches sogar ausdrücklich gesetzlich geregelt und als Rechtsfolge eine volle Kostenerstattung angeordnet. Schließlich müsse beachtet werden, dass das geltende Verfahrens- und Prozessrecht einen “Änderungsbescheid„ gar nicht kenne. Jede Änderung sei daher konsequenterweise eine vollständige Aufhebung des alten Bescheides unter Erteilung eines neuen Bescheides.

Der Bevollmächtigte der Klägerin beantragt,

den Beklagten unter Abänderung der Kostenentscheidung zu 2. im Widerspruchsbescheid vom 23. Februar 2012 zu verurteilen, der Klägerin die notwendigen Aufwendungen des Widerspruchsverfahrens über die vom Beklagten im Widerspruchsbescheid bereits austenorierten 30 % hinaus zu erstatten...

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