Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlagebeschluss zum BVerfG. Sozialhilfe für Ausländer. Leistungsausschluss für dem Grunde nach Leistungsberechtigte nach dem SGB 2. Leistungsausschluss für Leistungsberechtigte nach § 1 AsylbLG. vollziehbare Ausreisepflicht. Unionsbürger. Verlustfeststellung. Anhängigkeit eines Klageverfahrens. Leistungsausschluss für Ausländer ohne Aufenthaltsrecht. Überbrückungsleistungen. Verfassungsmäßigkeit
Leitsatz (amtlich)
Dem Bundesverfassungsgericht wird folgende Frage zur Entscheidung vorgelegt:
Ist § 23 Abs 3 S 1 Nr 2 SGB XII in der Fassung des Art 2 Nr 1 des Gesetzes zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch vom 22.12.2016 (BGBl I, S 3155 - juris: AuslPersGrSiuSHRegG) mit Art 1 Abs 1 GG iVm Art 20 Abs 1 GG vereinbar, soweit Unionsbürger, bei denen das Nichtbestehen der Freizügigkeit zwar festgestellt ist, diese Feststellung aber noch nicht in Bestandskraft erwachsen ist, vollständig von existenzsichernden Leistungen ausgeschlossen sind?
Orientierungssatz
1. Im Sinne der Abgrenzungsregelung des § 21 S 1 SGB 12 sind nach dem SGB 2 „als Erwerbsfähige oder als Angehörige dem Grunde nach leistungsberechtigt“ grundsätzlich nicht die Personen, die auch bei Erfüllung der Leistungsvoraussetzungen von Leistungen nach dem SGB 2 ausgeschlossen sind.
2. Eine Leistungsberechtigung nach § 1 Abs 1 Nr 5 AsylbLG wegen einer vollziehbaren Ausreisepflicht besteht nicht, solange gegen eine Verlustfeststellung nach § 5 Abs 4 FreizügG/EU 2004 ein verwaltungsgerichtliches Klageverfahren anhängig ist.
3. Der Entscheidung des LSG Berlin-Potsdam vom 11.7.2019 - L 15 SO 181/18 = info also 2019, 275, wonach Unionsbürger ohne objektiv bestehendes materielles Aufenthaltsrecht solange Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 23 Abs 3 S 6 Halbs 2 SGB 12 (Überbrückungsleistungen) haben, wie die Ausländerbehörde gegen sie keine bestandskräftige und weiterhin wirksame Ausweisungsverfügung erlassen hat, die mit einem Einreise- und Aufenthaltsverbot verknüpft ist, kann nicht gefolgt werden.
Tenor
1. Das Verfahren wird ausgesetzt.
2. Dem Bundesverfassungsgericht wird folgende Frage zur Entscheidung vorgelegt: Ist § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch in der Fassung des Art. 2 Nr. 1 des Gesetzes zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch vom 22. Dezember 2016 (BGBl. I, S. 3155) mit Art. 1 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 Grundgesetz vereinbar, soweit Unionsbürger, bei denen das Nichtbestehen der Freizügigkeit zwar festgestellt ist, diese Feststellung aber noch nicht in Bestandkraft erwachsen ist, vollständig von existenzsichernden Leistungen ausgeschlossen sind.
Tatbestand
Die Antragsteller begehren die Gewährung von laufenden Leistungen zum Lebensunterhalt vorrangig nach dem Sozialgesetzbuch, Zwölftes Buch (SGB XII) im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes.
Die 1973 geborene Antragstellerin zu 1) reiste am 1. März 2010 mit ihrem damaligen Ehemann, F.A. (geb. 19074), sowie ihren Kindern G., H. (geb. 1994), J. (geb. 1995), K. (geb. 1998), L. (geb 2001), D. - Antragsteller zu 4) - (geb. 2002) und B. - Antragsteller zu 2) - (geb. 2005) aus Rumänien in die Bundesrepublik Deutschland ein. Ihr Sohn C. - Antragsteller zu 3) - wurde 2010 in Deutschland geboren. Die Antragsteller zu 1) bis 4) sind nach der eingeholten Einwohnermeldeamtsauskunft seit dem 1. März 2010 durchgehend in Deutschland gemeldet und besitzen nur die rumänische Staatsbürgerschaft. Einer Erwerbstätigkeit ist die Antragstellerin bislang nicht nachgegangen.
Seit November 2012 bezog die Familie A. Leistungen nach dem SGB II von der Beigeladenen, der ProArbeit-Kreis Offenbach, Kommunales Jobcenter, Anstalt des öffentlichen Rechts (AöR). Am 1. Mai 2013 zog der Ehemann der Antragstellerin aus der gemeinsamen Wohnung aus; im Jahr 2014 oder 2015 erfolgte nach Angaben der Antragstellerin die Scheidung in Rumänien.
Bei K. stellte das Hessische Amt für Versorgung und Soziales Frankfurt mit Bescheid vom 24. Februar 2013 einen Grad der Behinderung von 100 sowie die Merkzeichen „G“, „B“ und „H“ fest aufgrund Einschränkungen der geistigen Leistungsfähigkeit. Seit dem 1. Februar 2018 wird er in der Werkstatt für behinderte Menschen, Werkstätten M., betreut (Träger der Maßnahme: Agentur für Arbeit Offenbach am Main) und erhält dort ein Taschengeld von 50 €/Monat. Für ihn ist ein gesetzlicher Betreuer bestellt, der, soweit dem Gericht bekannt, für K. keine Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch, Zweites Buch (SGB II) oder SGB XII beantragt hat.
Die Antragsteller zu 2) und 4) besuchen seit dem 12. August 2014 die N-Schule, N-Stadt (Förderschule mit Förderschwerpunkt Lernen), der Antragsteller zu 2) voraussichtlich bis zum ...