Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für Ausländer bei Aufenthalt zur Arbeitsuche. Unionsbürger. Fortwirkung des Aufenthalts- und Freizügigkeitsrechts als Arbeitnehmer bei unfreiwilliger Arbeitslosigkeit. Beschäftigung für genau 1 Jahr. Regelungslücke. europarechtskonforme Auslegung

 

Orientierungssatz

Ein unfreiwillig arbeitslos gewordener Unionsbürger, der genau ein Jahr und nicht länger als Arbeitnehmer beschäftigt war, genießt über die Fortwirkung des Arbeitnehmerstatus in entsprechender Anwendung des § 2 Abs 3 S 1 Nr 2 FreizügG/EU 2004 ein unbefristetes Aufenthalts- und Freizügigkeitsrecht und unterliegt nicht dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 Buchst b SGB 2.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 09.03.2022; Aktenzeichen B 7/14 AS 79/20 R)

 

Tenor

1. Der Bescheid vom 31.10.2013 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 26.11.2013 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger endgültig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Zeitraum 08.10.2013 bis 31.03.2014 zu gewähren.

2. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten im notwendigen Umfang zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch - Zweites Buch - (SGB II), insbesondere um das Eingreifen eines Leistungsausschlusses im Falle des Klägers.

Der im Jahr 1980 geborene Kläger ist rumänischer Staatsangehörigkeit. Er reiste im Januar 2012 ins Bundesgebiet ein und lebte zunächst in D-Stadt. Im Zeitraum 01.03.2012 - 28.02.2013 übte er eine versicherungspflichtige Beschäftigung als Servicekraft in einer C-Filiale aus. Das Beschäftigungsverhältnis endete wegen Auslaufens der vereinbarten Befristung. In der Folgezeit bezog der Kläger zunächst Arbeitslosengeld nach dem Sozialgesetzbuch - Drittes Buch - (SGB III) und ergänzende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II vom Jobcenter Hanau (Bescheid v. 28.06.2013 für den Zeitraum 01.05. - 31.10.2013).

Zum 01.10.2013 verzog der Kläger dann nach A-Stadt. Dort hatte er bereits am 17.09.2013 bei der Beklagten Leistungen der Sicherung zum Lebensunterhalt beantragt. Das Jobcenter Hanau stellte durch Bescheid v. 21.10.2013 die Leistungsgewährung an den Kläger zum 07.10. ein. Die Beklagte lehnte ihrerseits den Leistungsantrag durch Bescheid vom 31.10.2013 ab. Dies begründete sie damit, der Kläger unterliege dem gesetzlichen Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II, da sein Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Grund der Arbeitssuche herleite.

Gegen die Entscheidung der Beklagten legte der Kläger mit Schreiben v. 05.11.2013 Widerspruch ein. Parallel stellte er einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beim Sozialgericht Darmstadt, woraufhin die Beklagte mit Beschluss v. 11.11.2013 verpflichtet wurde, ihm vorläufig Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum 05.11.2013 - 31.03.2014 zu erbringen. Dies setzte die Beklagte durch zwei Bescheide vom 18.11.2013 um, mit denen sie ihm „vorläufig“ und "ausschließlich aufgrund des Beschlusses im Eilverfahren" Leistungen gewährte. Den Widerspruch wies die Beklagte jedoch durch Bescheid v. 26.11.2013 zurück. Der Kläger unterliege dem Leistungsausschluss und könne insbesondere auch kein Freizügigkeitsrecht aus der vorherigen Beschäftigung bei C. herleiten. Diese habe nicht länger als ein Jahr gedauert, sondern genau ein Jahr. Eine Fortwirkung des Arbeitsnehmerstatus' über einen längeren Zeitraum als sechs Monate setze jedoch nach der Regelung des Freizügigkeitsgesetzes/EU (FreizügG/EU) gerade ausdrücklich eine Dauer des Beschäftigungsverhältnisses von mehr als einem Jahr voraus.

Der Kläger hat am 11.12.2013 Klage beim Sozialgericht Darmstadt erhoben.

Er trägt vor, der Leistungsausschluss nach dem § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II greife in seinem Fall nicht ein.

Nach Klagerhebung sind infolge von Änderungen leistungserheblicher Umstände noch Bescheide v. 09.12.2013 und v. 11.02.2014 ergangen, mit denen die Leistungshöhe neu festgesetzt worden ist. Zudem hat der Antragsteller am 14.02.2014 einen Weiterbewilligungsantrag gestellt, woraufhin ihm durch Bescheid v. 20.03.2014 vorläufige Leistungen ab dem 01.04.2014 bewilligt wurden.

Er beantragt nunmehr,

den Bescheid vom 31.10.2013 in Gestalt der Bescheide vom 18.11.2013, des Widerspruchsbescheides vom 26.11.2013 und der Bescheide vom 09.12.2013 sowie 11.02.2014 aufzuheben bzw. abzuändern, und die Beklagte zu verurteilen, ihm Leistungen im Zeitraum 08.10.2013 bis 31.03.2014 endgültig zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie beruft sich auf die in den Bescheiden gegebene Begründung.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und die Leistungsakte ergänzend verwiesen.

 

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und begründet.

Der Zulässigkeit steht insbesondere nicht entgegen, dass die Beklagte durch Bescheide v. 09.12.2013 und 11.02.2014 Leistungen für den gegenständlichen Zeitraum bewilligt ...

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