Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Vergütung einer stationären Behandlung. Zulässigkeit der echten Leistungsklage des Krankenhausträgers gegen eine Krankenkasse. Verwirkung der geltend gemachten Forderung. Schaffung eines Vertrauenstatbestandes

 

Orientierungssatz

1. Die Klage eines Krankenhausträgers auf Zahlung der Behandlungskosten eines Versicherten gegen eine Krankenkasse ist ein Beteiligtenstreit im Gleichordnungsverhältnis, in dem eine Regelung durch Verwaltungsakt nicht in Betracht kommt, kein Vorverfahren durchzuführen ist und keine Klagefrist zu beachten ist (vgl BSG vom 16.12.2008 - B 1 KN 3/08 KR R = BSGE 102, 181 = SozR 4-2500 § 109 Nr 15 und vom 28.9.2006 - B 3 KR 23/05 R = SozR 4-2500 § 112 Nr 6).

2. Die Schaffung eines Vertrauenstatbestandes als Voraussetzung für den Tatbestand der Verwirkung setzt bei einer Zeitspanne unterhalb der Verjährungsfrist von 4 Jahren ein positives Tun des Berechtigten voraus; ein bloßes Unterlassen reicht nicht aus.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 01.07.2014; Aktenzeichen B 1 KR 47/12 R)

 

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 5.260,09 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 06.06.2009 zu zahlen.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Die Sprungrevision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Vergütung für einen stationären Krankenhausaufenthalt der bei der Beklagten krankenversicherten C., geboren 1937, im Zeitraum vom 31.05.2008 bis 26.06.2008 in Höhe von 5.260,09 €.

Die Klägerin ist Betreiberin des in den Krankenhausplan des Landes Hessen aufgenommenen A. Klinikum in A-Stadt. Die Klägerin stellte der Beklagten mit Rechnung vom 10.07.2008 die Behandlungskosten für die stationäre Behandlung der Versicherten e C. in Höhe von 5.260,09 € in Rechnung. Dieser Rechnung lag die DRG L44Z (geriatrische frührehabilitative Komplexbehandlung bei Krankheiten und Störungen der Harnorgane) zugrunde.

Da die Beklagte Zweifel an der vorgenommenen Kodierung hatte, leitete sie das Prüfverfahren durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) ein. Nach zunächst vollständigem Rechnungsausgleich verrechnete die Beklagte am 04.06.2009 den vollständigen Rechnungsbetrag und zahlte den aus ihrer Sicht korrekten Rechnungsbetrag in Höhe von 1.695,19 €. Die Beklagte war der Auffassung, dass das aufnahmebegründende Krankheitsbild die Durchführung einer geriatrischen Frührehabilitation nicht rechtfertige.

Am 17.02.2011 hat die Klägerin Klage erhoben. Zur Begründung trägt die Klägerin vor, die Patientin sei wegen einer zunehmenden Verschlechterung des Allgemeinzustandes und zunehmender Immobilität bei Vorliegen eines Harnwegsinfektes eingewiesen worden. Des Weiteren legt die Klägerin ausführlich dar, aus welchen medizinischen Gründen die durchgeführte geriatrische Frührehabilitation gerechtfertigt war. Daher sei der OPS-Code 8-550.q zu Recht abgerechnet worden. Des Weiteren führt die Klägerin aus, von einer Verwirkung des geltend gemachten Vergütungsanspruches sei nicht auszugehen.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 5.260,09 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 06.06.2009 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen und die Sprungrevision zuzulassen.

Zur Begründung trägt die Beklagte vor, nach Auswertung der Patientenakte durch den MDK würde sie sich nicht länger darauf berufen, dass der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch materiell-rechtlich nicht bestehen würde. Jedoch sei die Klageforderung nach Treu und Glauben verwirkt. Das Bundessozialgericht (BSG) habe in seinen Urteilen vom 08.09.2009, Az. B 1 KR 11/09 R und vom 17.12.2009, Az. B 3 KR 12/08 R entschieden, dass Krankenhäuser unter bestimmten Voraussetzungen von der Nachberechnung von Forderungen nach den Grundsätzen von Treu und Glauben ausgeschlossen seien. Vorliegend handle es sich zwar nicht, wie in den den zitierten Entscheidungen des BSG zugrundeliegenden Sachverhalten, um eine Korrektur bezahlter Schlussrechnungen. Gleichwohl seien die in den oben genannten Urteilen manifestierten Grundsätze von Treu und Glauben auch auf den vorliegenden Sachverhalt anwendbar. Mit dem vom BSG aufgestellten Grundsatz der wechselseitigen Treue- und Obhutspflichten vertrage es sich nicht, wenn die Klägerin durch langzeitiges Untätigbleiben bei der Beklagten den Eindruck erwecke, als akzeptiere sie die Bewertung des Sachverhaltes durch den MDK. Zwar gebe es in der vorliegenden Rechtsbeziehung zwischen den Parteien kein formalisiertes Widerspruchsverfahren, die Beklagte habe jedoch darauf vertrauen dürfen, dass die Klägerin nach so langer Zeit diesen Fall nicht wieder aufgreife. Das unterlassen der Klägerin sei unter Berücksichtigung des dauerhaften Vertragsrahmens, in dem die Parteien professionell zusammenarbeiten würden, und in dem von beiden Parteien gegenseitige Rücksichtnahme erwartet werden könne, einem Tun gleichzusetzen. Aus dem dem Krankenhausabrechnungssystem...

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