Entscheidungsstichwort (Thema)

Grenzen des Anspruchs des Versicherten auf häusliche Krankenpflege gegenüber der Krankenkasse bei Unterbringung in einer stationären Einrichtung

 

Orientierungssatz

1. Die Behandlungssicherungspflege ist als Bestandteil der häuslichen Krankenpflege in § 37 Abs. 2 SGB 5 geregelt. Diese kann sowohl im eigenen Haushalt als auch an einem sonstigen geeigneten Ort erbracht werden.

2. Als ein sonstiger geeigneter Ort gilt auch eine Einrichtung der Eingliederungshilfe. Eine solche schuldet einfachste Maßnahmen der Behandlungspflege als gesetzlichen Bestandteil der Eingliederungshilfe. Hierzu zählen u. a. die Gabe von Medikamenten sowie Insulininjektionen.

3. Beim Anziehen von Kompressionsstrümpfen handelt es sich um einfachste Maßnahmen der Behandlungspflege. Insoweit besteht ein gesetzlicher Anspruch des Versicherten gegen die Einrichtung. Die Erbringung dieser Leistung durch die Krankenkasse des Versicherten ist damit nicht erforderlich i. S. des § 37 Abs. 2 S. 1 SGB 5. Damit ist ein entsprechender Anspruch gegenüber der Krankenkasse ausgeschlossen.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 07.05.2020; Aktenzeichen B 3 KR 4/19 R)

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Berufung wird zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die Klägerin gegen die Beklagte Anspruch auf häusliche Krankenpflege in Form ärztlich verordneten Anziehens von Kompressionsstrümpfen hat.

Die Klägerin lebt in einer Einrichtung für geistig behinderte Menschen und erhält von dem Sozialhilfeträger Eingliederungshilfe. Der mit der Einrichtung geschlossene Wohn- und Betreuungsvertrag sieht unter anderem vor, dass der Träger der Einrichtung die Anleitung bei medizinisch-pflegerischer Versorgung auf ärztliche Anordnung übernimmt, des Weiteren allgemeine pflegerische Leistungen, die den organisatorischen Möglichkeiten der Einrichtung entsprechen. Behandlungspflege ist ausdrücklich "nicht Bestandteil der Arbeit".

Die Hausärztin stellte zwei Verordnungen über "Kompressionsstrümpfe anziehen 1 x tgl." aus, nämlich am 20.01.2016 für den Zeitraum 02.02.2016 bis 02.02.2017 und am 25.01.2016 für den Zeitraum 01. bis 29.02.2016. Die Klägerin beantragte bei der Beklagte die Genehmigung der verordneten häuslichen Krankenpflege; der Pflegedienst reichte die Vordrucke bei der Beklagten ein. Die Beklagte lehnte mit Bescheiden vom 02.02.2016 und vom 09.02.2016 eine Kostenübernahme für die verordneten Leistungen ab. Nach aktueller Rechtsprechung des Bundessozialgerichts - so die Beklagte - seien für einfachste Maßnahmen der Behandlungspflege nicht die Krankenkassen zuständig, sondern die Einrichtungen der Behindertenhilfe. Dabei handele es sich in der Regel um Leistungen, für die es keiner besonderen Sachkunde oder Fertigkeiten bedürfe. Demnach übernehme die Einrichtung die Leistungen und trage die Kosten. Eine Kostenübernahme durch die Beklagte sei aus diesem Grund nicht möglich. Eine Kostenübernahme könne nicht erfolgen. Die Klägerin legte durch ihren Betreuer Widerspruch ein und verwies auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 25.02.2015 mit dem Aktenzeichen B 3 KR 11/14 R. Die Beklagte zog den Wohn- und Betreuungsvertrag und den Bewilligungsbescheid zur Eingliederungshilfe bei. Mit Widerspruchsbescheid vom 02.05.2016 wies sie den Widerspruch zurück. Wegen der Einzelheiten wird auf die Gründe des Widerspruchsbescheids Bezug genommen.

Zur Begründung der am 01.06.2016 erhobenen Klage trägt die Klägerin durch ihre Prozessbevollmächtigte vor, zur Durchführung der verordneten Maßnahmen seien medizinische Fachkenntnisse erforderlich, über die die in der Einrichtung beschäftigten Kräfte nicht verfügten. Sie legt hierzu eine Stellungnahme der verordnenden Ärztin vom 09.06.2016 und ein an den Betreuer gerichtetes Schreiben des Trägers der Einrichtung vom 31.03.2016 vorgelegt.

Die Klägerin beantragt:

Die Bescheide der Beklagten vom 02.02.2016 und 09.02.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.05.2016 werden aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, der Klägerin die häusliche Krankenpflege in Form von Kosten für das Anziehen von Kompressionsstrümpfen nach dem SGB XI in Verbindung mit der Hilfsmittelverordnung zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie beruft sich auf die Urteile des Bundessozialgerichts vom 25.02.2015 und vom 22.04.2015.

Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.

 

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf das Anziehen von Kompressionsstrümpfen durch einen Pflegedienst oder auf eine Erstattung verauslagter Kosten. Die angegriffenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Die Rechte und Pflichten der Versicherten der gesetzlichen Kran...

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