Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Einkommensberücksichtigung und -berechnung. selbstständige Tätigkeit. Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben. nicht zweckgebundene Corona-Soforthilfe aus Landesmitteln. NRW Überbrückungshilfe Plus. fiktiver Unternehmerlohn. Zufluss. Berücksichtigung als Betriebseinnahme im jeweiligen Bewilligungszeitraum. Absetzung von Freibeträgen. Wirkung von § 67 Abs 4 S 2 SGB 2 auf §§ 45, 48 SGB 10
Leitsatz (amtlich)
1. Eine nicht zweckgebundene Corona-Soforthilfe aus Landesmitteln, die nicht nur ausschließlich zur Deckung von Betriebsausgaben eines Unternehmens eingesetzt werden kann, stellt anrechenbares Einkommen im Sinne des § 11 Abs 1 S 1 SGB II dar, wenn ein Nachweis für die Verwendung nicht zu erbringen ist. Anders als bei einer zweckgebundenen Wirtschaftshilfe für Unternehmen ist sie nicht lediglich von den tatsächlich anfallenden Betriebsausgaben in dem maßgebenden Zeitraum in Abzug zu bringen.
2. Wird die nicht zweckgebundene Corona-Soforthilfe als "fiktiver Unternehmerlohn" gezahlt, findet die Vorschrift des § 11 Abs 3 SGB II zur Berücksichtigung einmaliger Einnahmen keine Anwendung. Der fiktive Unternehmerlohn ist als Betriebseinnahme nach § 3 Abs 1 S 1, 2 ALG II-VO (juris: AlgIIV 2008) im jeweiligen Bewilligungszeitraum bei der Einkommensberechnung nach § 3 Abs 4 ALG II-VO zu berücksichtigen und vollumfänglich um die nach § 11b Abs 2, 3 SGB II maßgebenden Freibeträge für erwerbsfähige Leistungsberechtigte zu bereinigen.
3. § 67 Abs 4 S 2 SGB II steht einer Aufhebung gemäß § 48 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB X wegen nachträglicher Einkommenserzielung nicht entgegen. Die allgemeinen Vorschriften über die Aufhebung von Verwaltungsakten nach den §§ 45, 48 SGB X bleiben durch § 67 Abs 4 S 2 SGB II unberührt.
Tenor
Der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 03.08.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 08.11.2021 wird insoweit aufgehoben, als dass für die Monate Februar 2021 bis Mai 2021 der zu erstattende Betrag um 266,66 Euro reduziert wird. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 50 %.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Berücksichtigung einer Corona-Überbrückungshilfe bei den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) und der daraus resultierenden Aufhebung und Erstattung von Leistungen für die Zeit vom 01.02.2021 bis 31.05.2021.
Die Klägerin stand in der Vergangenheit im laufenden Bezug von Leistungen nach dem SGB II. Sie ist selbstständig und betreibt seit dem 01.09.2001 einen Afro-Shop in C.
Am 14.12.2020 beantragte sie gemeinsam mit ihrem Ehemann die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II. Dabei machte jene, in der dem Antrag beigefügten Anlage zur vorläufigen Erklärung zum Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit, Angaben zu dem prognostizierten Betriebsgewinn. Sie prognostizierte Betriebseinnahmen in Höhe von 7323,19 Euro und Betriebsausgaben in Höhe von 6706,93 Euro.
Mit Bewilligungsbescheid vom 25.01.2021 bewilligte der Beklagte der Klägerin und ihrem Ehemann vorläufige Leistungen für die Zeit vom 01.12.2020 bis 31.05.2021. Die Bewilligung erfolgte unter Benennung des § 41a Abs.1 S. 1 Nr. 1 SGB II und § 67 Abs. 1, Abs. 4 S. 1 SGB II vorläufig und für einen Zeitraum von sechs Monaten. Zur Begründung der Vorläufigkeit trug der Beklagte vor, dass die Klägerin Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit erziele. Dieses Einkommen könne zunächst nur prognostiziert werden. Der tatsächliche Gewinn könne erst nach Ablauf des Bewilligungszeitraums festgestellt werden. Der Beklagte berücksichtigte bei dem zu prognostizierenden Einkommen aus Selbstständigkeit einen vorläufigen anrechenbaren monatlichen Betriebsgewinn in Höhe von 11,18 Euro.
Die Klägerin reichte am 15.07.2021 einen Bescheid der Bezirksregierung E vom 19.01.2021 über die "Gewährung einer Billigkeitsleistung des Bundes und des Landes Nordrhein-Westfalen in Form einer Corona-Überbrückungshilfe für kleine und mittelständische Unternehmen, Soloselbstständige und Angehörige der Freien Berufe, die infolge der Corona-Krise erhebliche Umsatzausfälle erleiden" ein. Darin war geregelt, dass diese im Rahmen des Programms "Überbrückungshilfe II NRW" für den Zeitraum September 2020 bis Dezember 2020 eine Überbrückungshilfe als Zuschuss in Höhe von insgesamt 6289,30 Euro erhielt. Dieser Zuschuss wurde ihr im Januar 2021 ausgezahlt und diente mit einer ausdrücklich bestimmten Laufzeit von vier Monaten dazu, Umsatzrückgänge während der Corona-Krise abzumildern. Die Regelungen der Richtlinien des Landes zur fortgesetzten Gewährung von Überbrückungshilfe für kleine und mittelständische Unternehmen ("Überbrückungshilfe II NRW") wurden für verbindlich erklärt und Bestandteil des Bescheids. Die Überbrückungshilfe setzte sich aus einem Betrag in Höhe von 2289,30 Euro (Bundesmittel) und einem Betrag in Höhe von 4000,00 Euro (zusätzliche Landesmittel) zusam...