Entscheidungsstichwort (Thema)
Pflicht des Grundsicherungsberechtigten zur Rentenantragstellung
Orientierungssatz
1. Nach § 12 a S. 1 SGB 2 ist der Grundsicherungsberechtigte verpflichtet, Sozialleistungen anderer Träger in Anspruch zu nehmen und die dafür erforderlichen Anträge zu stellen, sofern dies zur Vermeidung oder Verringerung der Hilfebedürftigkeit erforderlich ist.
2. Die Vorschrift ist verfassungsgemäß und durch das Prinzip der Nachrangigkeit steuerfinanzierter Fürsorgeleistungen gedeckt.
3. Mittel aus der Rentenversicherung sollen vorrangig zur Bestreitung des Lebensunterhalts vom Rentenberechtigten eingesetzt werden.
Nachgehend
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen einen Bescheid des Beklagten, durch welchen er aufgefordert wurde im Rahmen der Grundsicherung nach den Vorschriften des Zweiten Sozialgesetzbuches (SGB II) einen Antrag auf die Bewilligung einer Rente zu stellen.
Mit Bescheid vom 12.03.2013 bewilligte der Beklagte dem am 00.00.1950 geborenen Kläger sowie seiner mit ihm in Bedarfsgemeinschaft lebenden Ehefrau Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum 01.04.2013 bis 30.09.2013. Mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 16.04.2013 forderte der Beklagte den Kläger zur Stellung eines Rentenantrags bis zum 06.05.2013 auf, weil dieser einen Anspruch auf geminderte Altersrente mit Abschlägen haben könnte. Diese vorrangige Leistung schließe einen Anspruch nach dem SGB II aus. Der Kläger sei zur Beantragung der geminderten Altersrente ab dem 63. Lebensjahr verpflichtet und hierzu im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens aufzufordern. Sein privates Interesse am Bestand der Weiterführung der Leistungen nach dem SGB II müsse im Rahmen der pflichtgemäßen Ausübung des Ermessens gegenüber dem öffentlichen Interesse an einer Aufforderung zu Beantragung einer Rente wegen Alters, auch mit geminderten Ansprüchen, zurücktreten. Da die finanziellen Mittel für Grundsicherungsleistungen aus allgemeinen Steuermitteln und nicht, wie bei der Rentenversicherung, aus Beiträgen der Versicherten aufgewendet werden müssten, bestehe ein Interesse an der Vermeidung nicht gerechtfertigter Sozialleistungen. Ermessensgesichtspunkt, die zu Gunsten des Klägers hätte berücksichtigen können, seien nicht erkennbar.
Am 14.05.2013 stellte der Beklagte formlos für den Kläger einen Rentenantrag direkt bei der Deutschen Rentenversicherung. Das Verwaltungsverfahren ist ruhend gestellt.
Gegen den Bescheid vom 16.04.2013 erhob der Kläger am 20.05.2013 Widerspruch. Zunächst sei die Rechtslage verfassungswidrig. Er sehe Verstöße unter anderem gegen Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG), dem allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz. Die zu berücksichtigende Vergleichsgruppe seien Arbeitnehmer im Alter des Klägers die eine Gruppe müsse in Zukunft - gestuft bis zum 67. Lebensjahr - arbeiten. Die andere Gruppe, zu der der Kläger gehöre, werde gezwungen, eine abschlagsgeminderte Rente, und zwar - ebenfalls gestufte - ab dem 63. Lebensjahr in Anspruch zu nehmen. Er sehe keinen sachlichen Grund, der diese Ungleichbehandlung rechtfertige. Damit werde auch in die Eigentumsgarantie aus Art. 14 GG eingegriffen. Rentenanwartschaften genossen den Schutz der Eigentumsgarantie, zumindest für die so genannten rentennahen Jahrgänge. Dazu gehöre der Kläger. Indem er die Abschläge hinnehmen müsse, sei seine Rente teilweise entwertet, und in sein Anwartschaftsrecht werde eingegriffen. Außerdem sei Art. 12 GG verletzt. Dem Kläger steht es danach frei, seinen Beruf frei zu wählen und auszuüben. Wenn er nun gezwungen werde, einen Rentenantrag zu stellen, dann werde er zwangsverwendet und könne seine Arbeitskraft nicht mehr frei verwerten. Ein Antrag des Klägers die aufschiebende Wirkung dieses Widerspruchs bzw. der vorliegenden Klage anzuordnen, blieb in der 1. Instanz (S 28 AS 858/13 ER) und in der 2. Instanz (L 19 AS 1045/13 B ER) erfolglos. Laut einer im Beschwerdeverfahren von dem Kläger vorgelegten Rentenauskunft hätte der Kläger bei einem Rentenantrag am 01.04.2013 gegenüber einer abschlagsfreien Altersrente von 964,17 EUR Abschläge von 7,2 % hinzunehmen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 25.07.2013 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Es sei noch zu prüfen gewesen, ob eine unbillige Härte angenommen werden könne. Hierzu sei die Verordnung zur Vermeidung unbilliger Härten durch Inanspruchnahme einer vorgezogenen Altersrente (Unbilligkeitsverordnung) heranzuziehen. Die in der Unbilligkeitsverordnung in den §§ 2-5 festgelegten Voraussetzungen, in welchen Fällen die Inanspruchnahme einer vorzeitigen Altersrente unbillig ist, erfülle der Kläger nicht. Durch die Inanspruchnahme einer vorgezogenen Altersrente sei der Kläger bei einem derzeitigen Bedarf im Sinne des SGB II von monatlich 563 EUR in der Lage, dauerhaft unabhängig von der Inanspruchnahme steuerfinanzierter Grundsicherungsleistung zu leben. Dem Kläger sei eine ausreichende Fris...