Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur den Voraussetzungen der Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung durch körperliche Misshandlung oder sexuellen Missbrauch während der Kindheit. Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs gemäß § 1 Absatz 1 Opferentschädigungsgesetz i.V.m. § 1 Absatz 3 Bundesversorgungsgesetz
Orientierungssatz
1. Zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung durch tätlichen Angriff gemäß § 1 Absatz 1 OEG i.V.m. § 1 Absatz 3 BVG genügt die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Die Wahrscheinlichkeit ist gegeben, wenn nach der geltenden ärztlich-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr bzw. gewichtigere Tatsachen für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang sprechen.
2. Ein tätlicher Angriff i.S.v. § 1 Absatz 1 OEG liegt vor, wenn der Täter mit körperlicher Gewalt in feindseliger Absicht gegen das Opfer vorgeht oder wenn der Täter in strafbarer Weise die körperliche Integrität eines anderen rechtswidrig verletzt. Auch gewaltloser sexueller Missbrauch von Kindern und körperliche Misshandlungen durch die Eltern sind als tätliche Angriffe anzusehen.
3. Der erforderliche Kausalzusammenhang zwischen Gesundheitsstörung und Schädigung durch körperliche Misshandlung oder sexuellen Missbrauch während der Kindheit kann nicht festgestellt werden, wenn die Gesundheitsstörung nicht allein oder annähernd gleichwertig neben anderen Ursachen auf diese Angriffe zurückzuführen ist.
4. Würdigung der Sachverständigengutachten durch das Gericht anhand der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht, denen im Interesse einer objektivierbaren Bewertung und einer am Gleichheitsgebot orientierten Gleichbehandlung normähnliche Wirkung beizumessen ist. Hierbei werden auch die die Anhaltspunkte ergänzenden Ausführungen des ärztlichen Sachverständigenbeirats beim Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung vom 12./13.11.1997 zu Punkt 1.1 berücksichtigt. Diese fassen im Wesentlichen die von der Weltgesundheitsorganisation zusammengestellten ICD-10 zusammen.
5. Zu den Anforderungen an den Nachweis von Gesundheitsstörung und Schädigung
Nachgehend
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Streitig ist, ob der am 00.00.1962 geborenen Klägerin ein Anspruch auf Versorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) zusteht.
In ihrem Antrag vom 16.09.1999 auf Versorgung nach dem OEG gab die Klägerin an, von 1962 bis 1980 sei es mit abnehmender Tendenz im Elternhaus zu Gewalttaten und Missbrauch gekommen. Als Ursachen gab sie Alkoholkonsum des Vaters an sowie Überforderung der Mutter durch Misshandlungen des Ehemannes. Die Mutter sei tablettensüchtig. Darüber hinaus sei es zu einem sexuellen Missbrauch durch einen Fremden gekommen, als sie in der 4. Klasse gewesen sei.
Das Versorgungsamt Bielefeld holte eine Auskunft der Techniker Krankenkasse C über Erkrankungen der Klägerin ein sowie einen Befundbericht des Arztes für Allgemeinmedizin T (15.10.1999). Dem Befundbericht waren Berichte der Ambulanz der Klinik N II des Sonderkrankenhauses C1 vom 25.03.1993 beigefügt sowie der Klinik N I vom 15.04.1993 und der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. F (04.09.1990). Außerdem waren ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Westfalen-Lippe vom 02.02.1995 beigefügt und der Entlassungsbericht über die stationäre Behandlung der Klägerin in der Klinik Bad C2 vom 02.03. bis 27.04.1995 sowie ein Arztbrief der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie, Psychotherapie Dr. T1 (19.09.1997). Die Diplompädagogin und Psychotherapeutin A-M übersandte auf Anforderung des Versorgungsamtes Bielefeld den Bericht zur psychotherapeutischen Behandlung der Klägerin von 1993 bis 1995. Darüber hinaus forderte das Versorgungsamt Bielefeld den Entlassungsbericht über die teilstationäre Behandlung der Klägerin im F1. K-Krankenhaus C vom 30.03. bis 23.06.2000 an sowie eine schriftliche Auskunft der Tante der Klägerin F2 T2 (21.09.2000).
Am 20.11.2000 wurde die Klägerin im Versorgungsamt Bielefeld angehört. Die Klägerin gab u.a. an, die körperlichen Misshandlungen im Elternhaus hätten bis zu ihrem Auszug im 18. Lebensjahr angedauert. Der Vater habe sie einmal kurz vor ihrem Auszug gepackt und aus der Küche auf den Boden des Flurs gestoßen, als sie ihn gefragt habe, warum es eigentlich immer nur das Essen gebe, was er sich wünsche. Das Schlimmste für sie sei gewesen, dass der Vater überfallartig zugeschlagen habe. Er sei ein Choleriker gewesen. Er habe nicht nur geschlagen, wenn er betrunken gewesen sei, sondern es sei auch vorgekommen, dass ihm etwas nicht gepasst habe. Er sei dann ins Zimmer gestürzt und habe zugeschlagen. Als sie einmal mit ihrem jüngeren Bruder um ein Holzspielzeug gestritten habe, sei er einfach reingekommen und habe um sich geschlagen. Sie habe dabei sehr heftiges Nasenbluten erlitten. Häufig...