Entscheidungsstichwort (Thema)

Rücknahme der Bewilligung von Arbeitslosengeld II bzw Sozialgeld. unrichtige Angaben zum Einkommen. Vertretung der Bedarfsgemeinschaft. Eltern als gesetzliche Vertreter des minderjährigen Kindes. Zurechnung des Vertreterverschuldens und Haftungsbeschränkungen für Minderjährige

 

Orientierungssatz

Ein Kind muss überzahlte Leistungen gem §§ 45, 50 SGB 10 iVm § 330 Abs 2 SGB 3 für die Vergangenheit zurückzahlen, wenn der in Bedarfsgemeinschaft lebende, nach § 38 SGB 2 handelnde Elternteil grob fahrlässig unrichtige oder unvollständige Angaben zum Einkommen des sozialrechtlich handlungsfähigen, aber damals minderjährigen Kindes gemacht hat. § 1629a BGB (Haftungsbeschränkung) findet im Sozialrecht keine Anwendung.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 07.07.2011; Aktenzeichen B 14 AS 153/10 R)

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 2/5.

Die Sprungrevision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darum, ob die Beklagte von der … 1989 geborenen Klägerin die Erstattung von in den Jahren 2005 und 2006 erbrachten Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in Höhe von nunmehr noch Euro 1043,51 verlangen kann.

Die Klägerin bezog von der Beklagten seit dem 01.01.2005 gemeinsam mit ihrer Mutter A L und ihrer Schwester J L Leistungen nach dem SGB II. Frau A L stellte bei der Beklagten am 18.11.2004 den Erstantrag auf Leistungen sowie in der Folge am 31.05.2005, 12.09.2005, 27.01.2006 die jeweiligen Fortzahlungsanträge auch für ihre zum damaligen Zeitpunkt noch minderjährigen Töchter.

Die Beklagte rechnete in ihren Bewilligungsbescheiden - unter anderem vom 13.06.2005, 21.09.2005 und 27.01.2006 - zunächst nur das von der Klägerin bezogene Kindergeld als Einkommen an. Ab August 2005 bezog die Klägerin über das Kindergeld hinaus jedoch auch monatliche Unterhaltsleistungen von ihrem von Frau A L getrennt lebenden Vater.

Eine Änderungsmitteilung über das nunmehr zusätzlich bezogene Einkommen oder diesbezügliche Angaben in den späteren Fortzahlungsanträgen finden sich im Verwaltungsvorgang der Beklagten nicht. Die Beklagte rechnete die Unterhaltsleistungen in ihren nachfolgend erlassenen Bewilligungsbescheiden nicht als Einkommen der Klägerin an.

Im Januar 2007 erfuhr die Beklagte von den an die Klägerin erbrachten Unterhaltszahlungen seit August 2005. Bereits vorab hatte sie davon Kenntnis erhalten, dass auch die Schwester der Klägerin, Frau J L , nicht angezeigte Unterhaltsleistungen erhalten hatte.

Mit an Frau A L gerichtetem Bescheid vom 28.06.2007 hob sie die "Entscheidungen vom 13.06.2005, 15.09.2005 und 27.01.2006 (...) vom 01.08.2005 bis 31.07.2006" für Frau A L sowie für die Klägerin und deren Schwester J L "in Höhe von Euro 2539,65" im Hinblick auf die vorab geleisteten und nicht angerechneten Unterhaltszahlungen auf. In der Folge individualisierte sie die einzelnen Erstattungsansprüche und setzte dabei unter anderem die Erstattungssumme gegen die Klägerin auf Euro 1828,90, bestehend aus Regelleistungen in Höhe von Euro 1292,85 und Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von Euro 528,05 für den Zeitraum vom 01.08.2005 bis zum 31,07.2006 fest. Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin durch ihren Bevollmächtigten Widerspruch. Während des Widerspruchsverfahrens erging der nunmehr gesondert an die Klägerin gerichtete Änderungsbescheid vom 01.10.2008, mit dem die Beklagte die Erstattungssumme aufgrund einer nunmehr veränderten Berechnung auf Euro 1770,99 korrigierte. Mit Widerspruchsbescheid vom 18.11.2008 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin im Übrigen zurück. Im Rahmen der Begründung des Widerspruchsbescheides stellte sie die Berechnung der Erstattungssumme dar und listete insbesondere tabellenförmig auf, auf welchen Monat die einzelnen Erstattungsbeträge entfielen.

Die seitens der Mutter und der Schwester der Klägerin erhobenen Widersprüche behandelte die Beklagte in separaten Widerspruchsverfahren. Die Aufhebung und Erstattung wurde hinsichtlich der Mutter der Klägerin bestandskräftig. Die an die Schwester der Klägerin, Frau J L, gerichtete Aufhebung und Erstattung wurde in dem ebenfalls vor der erkennenden Kammer unter dem Aktenzeichen S 32 AS 517/08 geführten Verfahren durch Vergleich abgeschlossen.

Am 22.12.2008 hat die Klägerin Klage erhoben.

Sie trägt vor, dass der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid der Beklagten aufgrund der Haftungsbeschränkung des § 1629a.des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) rechtswidrig sei. Da ihre Mutter die Anträge zu Zeiten ihrer Minderjährigkeit für sie mit gegebenenfalls unvollständigen Angaben gestellt habe, habe diese die entsprechende Rückzahlungsverpflichtung zu ihren Lasten begründet. Aufgrund ihrer nunmehr eingetretenen Volljährigkeit sei ihre Haftung im Sinne dieser Norm auf das zum Zeitpunkt ihrer Volljährigkeit bestehende Vermögen beschränkt. Sie habe zu diesem Zeitpunkt aber über kein Vermögen verfügt.

Eine direkte Anwendbarkeit der Norm des § 1629 a BGB ergebe si...

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