Entscheidungsstichwort (Thema)

Nacherhebung von Sozialversicherungsbeiträgen. zur Verjährung von Ansprüchen auf Sozialversicherungsbeiträge gemäß § 25 SGB 4. Kenntnis des Unternehmers der gewerblichen Arbeitnehmerüberlassung von der Unwirksamkeit der für die Berechnung der Arbeitsentgelte der Leiharbeitnehmer sowie der abzuführenden Sozialversicherungsbeiträge zugrunde gelegten Tarifverträge

 

Orientierungssatz

1. Nach § 25 Abs. 1 Satz 2 SGB 4 verjähren Ansprüche auf vorsätzlich vorenthaltene Sozialversicherungsbeiträge in 30 Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind. Vorsatz muss hierfür nicht schon im Zeitpunkt der Fälligkeit der Beiträge vorliegen. Es genügt, wenn er noch während des Laufs der vierjährigen Verjährungsfrist gemäß § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB 4 eintritt.

2. Trotz Kenntnis des Unternehmers der gewerblichen Arbeitnehmerüberlassung von der Unwirksamkeit der für die Berechnung der Arbeitsentgelte der Leiharbeitnehmer sowie der abzuführenden Sozialversicherungsbeiträge zugrunde gelegten Tarifverträge aufgrund entsprechender öffentlichkeitswirksamer arbeitsgerichtlicher Rechtsprechung - insbesondere des BAG - liegt ein solcher Vorsatz nicht vor, wenn der Unternehmer diese Rechtsprechung zwar zur Kenntnis genommen hat,  die beitragsrechtlichen Konsequenzen für die Vergangenheit aber noch nicht abgesehen hat. Insbesondere, wenn die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung sich ausdrücklich auf die Gegenwart bezieht.

3. Eine erneute Nachforderung gemäß § 28p Abs. 1 SGB 4 für den gleichen Zeitraum ist möglich. Einer Aufhebung des Vorbescheides nach § 45 SGB 10 bedarf es hierfür nicht.

 

Tenor

Der Bescheid der Beklagten vom 21.02.2013 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26.06.2013 wird insoweit aufgehoben, als die Beklagte von der Klägerin Sozialversicherungsbeiträge für die Zeit vom 01.12.2005 bis 31.12.2007 nacherhebt. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens tragen die Beteiligten je zur Hälfte.

Der Streitwert des Verfahrens beträgt 17.234,28 EUR.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Nacherhebung von Sozialversicherungsbeiträgen.

Die Klägerin ist ein Unternehmen der gewerblichen Arbeitnehmerüberlassung, das in dem hier streitgegenständlichen Zeitraum vom 01.12.2005 bis 31.12.2009 bei der Arbeitsentgeltberechnung für Leiharbeitnehmer die mit der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit (CGZP) vereinbarten Tarifverträge zu Grunde legte und auf die so ermittelten Entgelte die Sozialversicherungsbeiträge abführte.

Die Beklagte erhob mit bestandskräftigem Bescheid vom 28.05.2009 für den Prüfzeitraum vom 01.01.2005 bis 31.12.2008 eine Beitragsnachforderung von 495,64 Euro wegen eines kurzfristig Beschäftigten und der U2-Umlage.

Ab dem 19.11.2012 führte die Beklagte für den Zeitraum vom 01.12.2005 bis 31.12.2009 eine (erneute) Betriebsprüfung durch. Mit Bescheid vom 21.02.2013 in der Fassung vom 26.06.2013 stellte die Beklagte eine Nachforderung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen i.H.v. 17234,28 Euro fest. Die Bestätigung der Tarifunfähigkeit der CGZP mit Beschluss des BAG vom 14.12.2010 (Az.: 1 ABR 19/10, BAGE 136, 302) habe die Unwirksamkeit der von ihr geschlossenen Tarifverträge zur Folge. Damit komme es in Anwendung des § 10 Abs. 4 AÜG dazu, dass die bei der Klägerin beschäftigten Leiharbeitnehmer den Lohn beanspruchen könnten, der im Betrieb des Entleihers für einen vergleichbaren Arbeitnehmer gezahlt werde. Dieser Arbeitsentgeltanspruch sei Grundlage der Beitragsberechnung. Es seien Beschäftigtengruppen nach Entleihern gebildet und für jede Gruppe das Lohndifferential ermittelt worden. Die Klägerin habe sich kooperativ verhalten und maßgebliche Unterstützung bei der Aufbereitung der Daten geleistet. Von daher würden keine Säumniszuschläge erhoben. Es greife die 30-jährige Verjährungsfrist, weil die Klägerin zumindest bedingt vorsätzlich trotz Kenntnis von der Unwirksamkeit der CGZP-Tarifverträge zu niedrige Sozialversicherungsansprüche abgeführt habe.

Zur Begründung der am 23.09.2013 erhobenen Klage macht die Klägerin geltend, der bestandskräftige Prüfbescheid vom 28.05.2009 sperre weitere Beitragsnacherhebungen für den gleichen Prüfzeitraum. Der Bescheid könne nur unter den Vorraussetzungen des § 45 SGB X zurückgenommen werden. Darüber hinaus sei die Forderung der Beklagten verjährt und das Schätzungsverfahren zur Beitragsermittlung sei rechtsfehlerhaft.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 21.02.2013 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26.06.2013 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen

Die Beklagte hält den angefochtenen Bescheid weiterhin für rechtmäßig. Ab der Entscheidung des BAG vom 14.10.2010 habe bei der Klägerin zumindest bedingter Vorsatz vorgelegen. Der Beschluss des BAG habe erhebliche Öffentlichkeitswirkung erzielt und sei ebenso wie die vorinstanzlichen Entscheidungen in der Branche der Arbeitnehmerüberlassung eingehend diskutiert worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach-...

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