Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für Ausländer bei Aufenthalt zur Arbeitsuche. Aufenthaltsrecht des ausländischen Elternteils eines minderjährigen ledigen Deutschen. Bestehen unabhängig von der Erteilung eines Aufenthaltstitels. Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit rückwirkend zur Geburt bei späterer Anerkennung der Vaterschaft

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der im SGB II geregelte Leistungsausschluss für Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, greift bereits dann nicht, wenn ein weiteres Aufenthaltsrecht vorliegt. Auf die Erteilung eines entsprechenden Titels durch die Ausländerbehörde kommt es nicht an.

2. Das Kind einer ausländischen Mutter und eines deutschen Vaters erwirbt in den Fällen, in denen die Vaterschaft zunächst unklar ist, später aber anerkannt oder festgestellt wird, die deutsche Staatsangehörigkeit nicht erst zum Zeitpunkt der Anerkennung oder Feststellung, sondern "rückwirkend" zum Zeitpunkt der Geburt.

 

Tenor

Die Bescheide vom 04.09.2013 und 18.08.2014 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 06.12.2013 und 26.09.2014 werden über das Teilanerkenntnis des Beklagten hinaus aufgehoben.

Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin auch für den Zeitraum vom 28.08.2013 bis zum 15.10.2013 und vom 16.09.2014 bis zum 03.02.2015 Leistungen nach dem SGB II nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften, insbesondere unter Anrechnung etwaigen Einkommens, zu gewähren.

Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten nunmehr noch darum, ob der Beklagte der Klägerin für die Zeiträume vom 28.08.2013 bis zum 15.10.2013 und vom 16.09.2014 bis zum 03.02.2015 dem Grunde nach Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) zu gewähren hat oder ob diese vom Leistungsausschluss des 7 Abs.1 Satz 2 Nr.2 SGB II erfasst ist.

Die am ... geborene Klägerin ist bulgarische Staatsangehörige. Sie reiste im Jahr 2009 erstmals in die Bundesrepublik Deutschland ein.

Im Jahr 2010 kehrte sie nach Bulgarien zurück. Ab dem Jahr 2011 hielt die Klägerin sich dann durchgehend in I auf. Sie war dort im Rahmen eines nicht angemeldeten selbständigen Gewerbes tätig.

Am 15.08.2013 brachte die Klägerin ihre Tochter F A zur Welt. Es war zunächst unklar, wer Vater des Kindes war.

Die Klägerin gab  in der Folge die selbständige Tätigkeit auf. Am 28.08.2013 beantragte sie beim Beklagten für sich und ihre Tochter Leistungen nach dem SGB II. Der Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 04.09.2013 ab. Die Klägerin sei gemäß 7 Abs.1 Satz 2 Nr.2 SGB II vom Bezug von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen, weil sich ihr Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergebe. Auch ihre Tochter sei als Familienangehörige von dem Leistungsausschluss erfasst.

Die Klägerin und ihre Tochter erhoben gegen diesen Bescheid am 08.11.2013 Widerspruch. Der Leistungsausschluss begegne unter europarechtlichen Gesichtspunkten Bedenken. Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 06.12.2013 - eingegangen beim Bevollmächtigten der Klägerin am 11.12.2013 - zurück und bezog sich auf die Argumentation des Ausgangsbescheids.

Am 10.01.2014 haben die Klägerin und ihre Tochter (ursprünglich Klägerin zu 2.)) Klage gegen den Bescheid vom 04.09.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.12.2013 erhoben. Diese Klage ist bei der erkennenden Kammer zunächst unter dem Aktenzeichen S 35 AS 110/14 geführt worden. Auch zur Begründung der Klage hat die Klägerin im Wesentlichen europarechtlich begründete Zweifel am Leistungsausschluss des 7 Abs.1 Satz 2 Nr.2 SGB II angeführt.

Bereits am 23.10.2013 hatte die Klägerin für sich und ihre Tochter einen neuen Leistungsantrag beim Beklagten gestellt und in diesem Zusammenhang auf eine am 15.10.2013 aufgenommene Aushilfstätigkeit in einer Ier Pizzeria verwiesen.

Der Beklagte nahm nunmehr ein Aufenthaltsrecht der Klägerin gemäß § 2 Abs.2 Nr.1 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU) an  und gewährte dieser und ihrer Tochter mit Bescheid vom 06.11.2013 für den Zeitraum vom 16.10.2013 bis zum 31.03.2014 Leistungen nach dem SGB II.

Am 10.03.2014 hat der Arbeitgeber der Klägerin deren Arbeitsvertrag  gekündigt. Der Beklagte hat der Klägerin und ihrer Tochter mit Bescheiden vom 18.03.2014 und 28.08.2014 gleichwohl weiter Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 01.04.2014 bis zum 15.09.2014 gewährt und hierbei eine sechsmonatige Fortwirkung des Arbeitnehmerstatus gemäß 2 Abs.3 Satz 2 FreizügG/EU angenommen.

Am 26.08.2014 haben die Klägerin und ihre Tochter erneut Leistungen nach dem SGB II für die Zeit nach dem Ablauf des bisherigen Bewilligungszeitraums beantragt. Der Beklagte hat den Antrag mit Bescheid vom 18.08.2014 abgelehnt und wiederum darauf Bezug genommen, dass das Aufenthaltsrecht der Klägerin sich nur aus dem Zweck der Arbeitsuche ergebe.

Am 02.10.2014 haben die Klägerin und ihre Tochter bei der erkennenden...

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