Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende: Leistungsausschluss für Unionsbürger. Anforderung an die Annahme der Arbeitnehmereigenschaft bei geringfügigen Tätigkeiten. Umfang der Überprüfung eines Leistungsbescheides im Überprüfungsverfahren. Zulässigkeit der Einbeziehung späterer Änderungen der Sachlage in das Überprüfungsverfahren

 

Orientierungssatz

1. Ein Unionsbürger ist auch dann vom Bezug der Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende ausgeschlossen, wenn er einer Tätigkeit mit einem zeitlichen Umfang von lediglich 5 Stunden wöchentlich nachgeht, aus der er ein Arbeitsentgelt in Höhe von 100 Euro erzielt, da diese geringe Tätigkeit nicht geeignet ist, eine Arbeitnehmereigenschaft zu begründen. In diesem ist der Aufenthalt trotz der Betätigung als zur Arbeitsuche angelegt anzusehen.

2. Ein Überprüfungsantrag bezüglich eines sozialrechtlichen Leistungsbescheides (hier: Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende) kann nur auf Umstände gestützt werden, die im Bewilligungszeitpunkt bereits vorlagen. Dagegen kann eine Änderung der Sachlage, die erst nach der streitgegenständlichen Leistungsbewilligung eingetreten ist (hier: geändertes Erwerbseinkommen), im Überprüfungsverfahren nicht berücksichtigt werden.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 29.03.2022; Aktenzeichen B 4 AS 2/21 R)

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten im Wege des Überprüfungsantrags darüber, ob der Kläger Anspruch hat auf Arbeitslosengeld II für die Monate März bis Dezember 2019. Der 1992 geborene Kläger ist griechischer Staatsangehöriger. Er hält sich seit 2016 wieder gewöhnlich in Deutschland auf. Bis Januar 2019 stand er beim Beklagten im Bezug von Arbeitslosengeld II.

Seit seiner Wiedereinreise ist der Kläger wie folgt erwerbstätig gewesen:

Zeitraum Arbeitgeber 27.04.2016 bis 31.12.2016 T GmbH 15.08.2017 bis 15.09.2017 H B 13.11.2017 bis 31.07.2018 H

Am 21.09.2018 stellte der Kläger beim Beklagten einen Weiterbewilligungsantrag. Der Beklagte bewilligte dem Kläger daraufhin mit Bescheid vom 08.10.2018 - geändert durch Än-derungsbescheid vom 24.11.2018 - Arbeitslosengeld II für die Monate November 2018 bis Oktober 2019. Mit Bescheid vom 04.12.2018 nahm der Beklagte die Leistungsbewilligung ab Februar 2019 zurück.

Seit 24.01.2019 übte der Kläger eine Tätigkeit als Spülkraft aus im Restaurant P, Inh. L, in N. Der Kläger wurde dort freitags abends von 17:00 bis 22:00 Uhr eingesetzt und erhielt ein Arbeitsentgelt von monatlich 100,00 EUR brutto = netto, das bar ausgezahlt wurde. Eine Meldung zur Sozialversicherung ist erfolgt.

Am 05.02.2019 legte der Kläger dem Beklagten den Arbeitsvertrag mit Herrn L vor. Mit Be-scheid vom 06.02.2019 lehnte der Beklagte den Antrag "vom 21.09.2018" ab, weil der Kläger ein Aufenthaltsrecht allein zur Arbeitssuche habe. Hiergegen legte der Kläger am 12.02.2019 Widerspruch ein, den der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 26.02.2019 zurückwies.

Am 11.04.2019 beantragte der Kläger die Überprüfung des Bescheids vom 06.02.2019. Ei-ne Begründung erfolgte nicht.

Der Beklagte lehnte den Überprüfungsantrag mit Bescheid vom 08.05.2019 ab. Bei Erlass des zur Überprüfung gestellten Bescheids sei das Recht richtig angewandt worden. Auch sei man von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen.

Gegen den Bescheid vom 08.05.2019 legte der Kläger am 04.06.2019 Widerspruch ein. Auch der Widerspruch wurde nicht begründet.

Mit Widerspruchsbescheid vom 07.06.2019 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Der Widerspruch sei zulässig, jedoch unbegründet. Weil der Kläger nichts vorgebracht habe, das für die Unrichtigkeit des zur Überprüfung gestellten Bescheids sprechen könne, habe der Beklagte eine sachliche Prüfung des Bescheids ablehnen dürfen.

Der Kläger hat am 11.07.2019 Klage erhoben.

Seit 01.09.2019 wird der Kläger von Herrn L als Servicekraft eingesetzt. Nunmehr arbeitet er 25 Stunden monatlich bei einem Stundenlohn von 10,00 EUR brutto. Am 16.01.2020 hat der Kläger einen neuen Leistungsantrag beim Beklagten gestellt.

Der Kläger meint, aufgrund der Tätigkeit im Restaurant P Arbeitnehmer zu sein und einen Leistungsanspruch zu haben. Bereits eine Tätigkeit mit einem Arbeitsentgelt von 100,00 EUR sei insoweit ausreichend.

Der Kläger beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Überprüfungsbescheids vom 08.05.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.06.2019 zu verurteilen, den Ablehnungsbescheid vom 06.02.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.02.2019 zurückzu-nehmen und dem Kläger Arbeitslosengeld II in gesetzlicher Höhe zu gewähren für die Monate März bis Dezember 2019.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung nimmt er Bezug auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid.

Die Beteiligten haben sich einverstanden erklärt mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung.

Wegen des weitergehenden Sach- und Streitstands wird Bezug genommen auf die Inhalte der Gerichtsakte des vorliegenden Verfahrens, der...

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