Entscheidungsstichwort (Thema)
Einstweiliger Rechtsschutz. Minderung des Arbeitslosengeld II. Verletzung von Pflichten aus der Eingliederungsvereinbarung. Nachweis Bewerbungsbemühungen. Minderungsbetrag in Höhe von 60% des Regelbedarfs. Verfassungswidrigkeit
Orientierungssatz
1. § 31 Abs 1 S1 Nr 1 iVm § 31a Abs 1 S 3 und 6, § 31b SGB 2 sind wegen Verstoßes gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Art 1 Abs 1 GG iVm dem Sozialstaatsgebot, Art 20 Abs 1 GG) verfassungswidrig.
2. Während das BVerfG auf den Vorlagebeschluss des SG Gotha (vgl SG Gotha vom 26.5.2015 - S 15 AS 5157/14) bereits mit der Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der genannten Vorschriften befasst ist, war zu Gunsten des Antragstellers vorläufiger Rechtsschutz zu gewähren.
Tenor
I. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 1. Dezember 2015 in der Fassung des Bescheides vom 6. Januar 2016 wird angeordnet.
II. Der Antragsgegner hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers zu erstatten.
Gründe
I.
Der Antragsteller wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die Verhängung einer Sanktion im Rahmen der Gewährung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) für den Zeitraum Januar bis März 2016.
Der am … 1982 geborene Antragsteller bezieht Leistungen nach dem SGB II, da er arbeitslos ist. Mit Bescheid vom 12. August 2015 senkte der Antragsgegner das Arbeitslosengeld II des Antragstellers vom 1. September 2015 bis 30. November 2015 um 100 % ab. Mit Beschluss vom 31. August 2015 - S 20 AS 4288/15 ER - ordnete das Sozialgericht Dresden die aufschiebende Wirkung des Widerspruches an. Mit bestandskräftigem Widerspruchsbescheid vom 15. September 2015 wies der Antragsgegner den Widerspruch zurück.
Auf den Folgeantrag des Antragstellers vom 18. September 2015 gewährte der Antragsgegner dem Antragsteller mit Bescheid vom 28. Oktober 2015 für November 2015 0 € und für Dezember 2015 bis März 2016 monatlich 731,58 €.
Am 5. Mai 2015 schloss der Antragsgegner mit dem Antragsteller eine Eingliederungsvereinbarung. Hierin verpflichtete sich der Antragsteller u. a., telefonisch oder persönlich zwei Bewerbungsbemühungen pro Monat beginnend mit dem 13. Mai 2015 zu unternehmen. Die geforderten Nachweise hierfür erbrachte er innerhalb der in der Eingliederungsvereinbarung festgelegten Fristen nicht. Mit Schreiben vom 13. November 2015 hörte der Antragsgegner den Antragsteller zu einer beabsichtigten Sanktion an.
Mit Bescheid vom 1. Dezember 2015 stellte der Antragsgegner fest, dass das Arbeitslosengeld II des Antragstellers auf Grund einer Minderung vollständig entfalle. Die Minderung beginne am 1. Januar 2016 und dauere bis zum 31. März 2016.
Der Antragsteller erhob am 5. Januar 2016 Widerspruch, über den noch nicht entschieden ist.
Am 5. Januar 2016 hat er ferner Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz vor dem Sozialgericht Dresden gestellt. Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, er sei mittellos. Die Sanktionierung sei mit dem Grundgesetz nicht vereinbar.
Der Antragsteller beantragt,
ihm vor dem Sozialgericht Dresden einstweiligen Rechtsschutz zu gewähren.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Der Antragsteller möge sich zunächst positionieren, ob er an dem Eilantrag festhalte. Die drohende Obdachlosigkeit sei abgewendet.
Am 5. Januar 2016 hat sich der Antragsteller gegenüber dem Antragsgegner bereit erklärt, die geforderten Bewerbungen zu erbringen. Mit Bescheid vom 6. Januar 2016 hat der Antragsgegner die mit Bescheid vom 1. Dezember 2015 ausgesprochene vollständige Minderung des Arbeitslosengeldes II mit Wirkung ab dem 1. Januar 2016 teilweise aufgehoben und für den Zeitraum vom 1. Januar 2016 bis 31. März 2016 die Leistungen um 60 % des maßgebenden Regelbedarfs gemindert.
Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der vom Antragsgegner vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ist begründet.
1. Der Antrag ist als Antrag nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG zulässig und begründet. Nach dieser Vorschrift können die Gerichte auf Antrag, der gemäß § 86b Abs. 3 SGG bereits vor Klageerhebung zulässig ist, in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Der Widerspruch gegen den Bescheid vom 1. Dezember 2015 in der Fassung des Bescheides vom 6. Januar 2016 hat gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG i. V. m. § 39 Nr. 1 SGB II keine aufschiebende Wirkung.
Ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG ist begründet, wenn das private Interesse des Anfechtenden, den Vollzug des angefochtenen Bescheides bis zur Entscheidung in der Hauptsache auszusetzen (privates Aussetzungsinteresse), gegenüber dem öffentlichen Interesse an dessen Sofortvollzug (öffentliches Vollzugsinteresse) überwiegt. ...