Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. einstweiliger Rechtsschutz. Regelungsanordnung. Anordnungsanspruch. Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für Ausländer bei Aufenthalt zur Arbeitsuche. Sozialhilfe. Hilfe zum Lebensunterhalt. Leistungsausschluss für dem Grunde nach Leistungsberechtigte nach dem SGB 2. Leistungsausschluss nach § 23 Abs 3 S 1 SGB 12. keine Leistungsgewährung nach § 23 Abs 1 S 3 SGB 12. Verfassungsmäßigkeit. Folgenabwägung
Orientierungssatz
1. Es sprechen gewichtige Gründe dafür, § 21 S 1 SGB 12 auch auf Personen anzuwenden, bei denen die allgemeinen Leistungsvoraussetzungen für Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB 2 vorliegen, die aber infolge eines Ausschlusstatbestands keine solchen Leistungen erhalten. Mit dieser - vom Wortlaut der Vorschrift gedeckten - Auslegung trägt man dem insoweit eindeutigen Willen des Gesetzgebers Rechnung, nach dem die Anwendungsbereiche der Existenzsicherungsleistungen des SGB 2 und des SGB 12 grundsätzlich nach dem Kriterium der Erwerbsfähigkeit voneinander abzugrenzen sind.
2. Der Ausschlusstatbestand des § 23 Abs 3 S 1 SGB 12 betrifft nicht nur gebundene Leistungen nach § 23 Abs 1 S 1 und 2 SGB 12, sondern auch Ermessensleistungen nach § 23 Abs 1 S 3 SGB 12. Für die vom BSG angenommene Ermessensreduzierung auf Null dahingehend, dass ab einer Aufenthaltsdauer von sechs Monaten regelmäßig ein Leistungsanspruch bestehe, weil der Aufenthalt verfestigt sei (vgl BSG vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R = BSGE 120, 149 = SozR 4-4200 § 7 Nr 43), ist daher kein Raum.
3. Die §§ 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 2 und 23 Abs 3 S 1 Alt 2 SGB 12 sind mit Art 1 und Art 20 GG vereinbar. Es bestehen insbesondere keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken dagegen, EU-Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allenfalls aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt oder die nicht aufenthaltsberechtigt sind, faktisch auf die Rückkehr in ihr Heimatland zu verweisen, wenn sie nicht selbst in der Lage sind, für ihren Lebensunterhalt zu sorgen. Allerdings kann es im Einzelfall verfassungsrechtlich geboten sein, zur Sicherung des Existenzminimums Überbrückungsleistungen zu gewähren.
4. Für eine Folgenabwägung ist kein Raum, wenn nach der Auffassung des mit dem Eilverfahren befassten Gerichts keine Erfolgsaussichten in der Hauptsache bestehen und keine offene, im Eilverfahren nicht abschließend zu klärende Sach- und Rechtslage vorliegt.
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Die Antragstellerinnen begehren im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe des gesetzlichen Regelsatzes.
Die am … 1976 in Z. (Ungarn) geborene Antragstellerin zu 1. ist ausweislich ihres Reisepasses ungarische Staatsangehörige (Anlage ASt 1). Sie war bis zum 16. November 2015 mit Herrn C. verheiratet; die elterliche Sorge für den im Jahr 2002 geborenen gemeinsamen Sohn übt der Kindesvater aus (vgl. Urteil des Gemeindegerichts Z., Bosnien-Herzegowina, vom 16. November 2015 über die Scheidung der im Jahr 1996 geschlossenen Ehe; Bl. 28 ff. der Verwaltungsakte des Beigeladenen).
Im Mai 2013 reiste die Antragstellerin zu 1. in die Bundesrepublik Deutschland ein und lebte sodann bis zum Frühjahr 2014 in L., wo ihr damaliger Lebensgefährte, Herr A. als Selbständiger tätig war (Inhaber des "Z. Grillhauses"). Herr A. ist türkischer Staatsangehöriger. Über seinen derzeitigen Aufenthaltsstatus bestehen keine Erkenntnisse. Das Gewerbe betreibt er weiterhin.
Die Antragstellerin zu 1. arbeitete seinerzeit als Köchin im Grillhaus ihres Lebensgefährten (vgl. Bl. 3 der Verwaltungsakte der Beigeladenen). Bereits damals bestanden Differenzen zwischen der Antragstellerin und Herrn A., der ihr gegenüber gewalttätig gewesen sei (Schriftsatz vom 4. Oktober 2010). Als die Antragstellerin zu 1. von ihrem Lebensgefährten ein Kind erwartete, begab sie sich im Frühjahr 2014 nach Bosnien-Herzegowina (laut Schriftsatz vom 4. Oktober 2016: im Mai 2014; nach den Angaben der Antragstellerin zu 1. gegenüber der Beigeladenen: im März 2014 anlässlich eines Streits mit dem Lebensgefährten, vgl. Bl. 4 der Verwaltungsakte der Beigeladenen). Dort wurde in der Stadt Z. am 8. Mai 2014 ihre Tochter, die Antragstellerin zu 2., geboren (vgl. Geburtsurkunde, ausgestellt am 8. September 2015 von der Standesamtsbehörde in Z., Bosnien-Herzegowina; Bl. 29 Gerichtsakte). Herr A. hat die Vaterschaft anerkannt (vgl. Schriftsatz vom 19. Oktober 2016 nebst Anlagen). Das Sorgerecht übt die Antragstellerin zu 1. allein aus (vgl. Bescheinigung des Jugendamts der Stadtverwaltung D. vom 8. September 2016, Bl. 30 Gerichtsakte).
Im Dezember 2014 begab sich die Antragstellerin zu 1. wieder in die Bundesrepublik Deutschland. Fortan ging sie in O. einer unselbständigen Erwerbstätigkeit bei dem Unternehmen "P." nach. Ausweislich der Bescheinigung der Bundesagentur für Arbeit vom 16. Februar 2016 trat mit Ablauf des...