Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Erstattung der Kosten einer Photodynamischen Therapie mit dem Arzneimittel Visudyne. verfassungsmäßige Auslegung im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG bei drohendem Sehverlust. Methodenvorbehalt nach § 135 Abs 1 SGB 5. Prüfungsbefugnis des Gemeinsamen Bundesausschusses
Orientierungssatz
1. Das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit aus Art 2 Abs 2 S 1 GG gebietet eine verfassungsmäßige Auslegung im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG im Beschluss vom 6.12.2005 - 1 BvR 347/98 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5 auch in anderen notstandsähnlichen Extremsituationen (hier: drohender irreversibler Ausfall des funktionell einzigen und schon hochgradig sehbehinderten rechten Auges).
2. Indikationsbezogene Empfehlungen des Gemeinsamen Bundesausschusses für die ärztliche Anwendung bestimmter Pharmakotherapien sind nur in Bezug auf die Applikation selbst und die Qualifikation des behandelnden Arztes statthaft.
3. Einschränkungen des Indikationsgebietes der Behandlung, die sich nicht spezifisch aus der Art und Weise der Anwendung oder aus der ärztlichen Qualifikation in Bezug auf bestimmte Krankheitsbilder oder Patientengruppen ergeben, sind vom Vorbehalt des § 135 Abs 1 SGB 5 nicht gedeckt.
4. Der Gemeinsame Bundesausschuss überschreitet die Grenzen seiner Prüfungsbefugnis, soweit er über die Festlegung der qualitativen und qualifikationsbezogenen Kriterien für die Photodynamische Therapie hinaus für sich in Anspruch genommen hat, auch die bereits im Rahmen der arzneimittelrechtlichen Zulassung abschließend geprüften Indikationen für die pharmakologische Wirksamkeit des eingesetzten Arzneimittels Verteporfin einer nochmaligen - medikamentenbezogenen - Überprüfung an Hand der schon im Rahmen der Zulassung bewerteten klinischen Studien zu unterziehen.
Tenor
I. Der Bescheid vom 29.09.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.04.2006 und der Bescheid vom 11.01.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.03.2007 werden aufgehoben.
Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger die für die Photodynamische Therapie mit Visudyne® (Verteporfin) am 30.09.2005 und am 28.12.2005 in Höhe von insgesamt 3.960,00 EUR aufgewandten Kosten zu erstatten.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Erstattung der Kosten einer Photodynamischen Therapie (PDT) mit dem Arzneimittel Visudyne® (Wirkstoff: Verteporfin) zur Behandlung einer okkulten subfovealen chorioidalen Neovaskularisation (CNV) bei altersbedingter Makuladegeneration (AMD).
Der 1920 geborene Kläger leidet an einer okkulten subfovealen CNV (ICD-10 Nr. H35.3) des rechten Auges, in dem er bereits eine künstliche Linse wegen grauen Stares trägt, sowie an einem Weitwinkelglaukom mit ausgeprägter Optikusatrophie (ICD-10 Nr. H40.1) beider Augen. Kennzeichnend für die CNV sind Blutgefäßwucherungen mit Blutungen und Vernarbungen, auf Grund derer der Verlust des zentralen Sehvermögens innerhalb weniger Monate droht.
In einer zur Vorlage bei der Beklagten angefertigten Befundmitteilung vom 21.09.2005 gab die Augenärztin Dr. med. P. den Visus am rechten Auge des Klägers ohne Korrektion mit 0,1 und das Nahsehvermögen bei Addition +3,0 mit Nd 10 sowie den Visus am linken Auge ohne Korrektion mit 0,08 bei aufgehobenem Lesevermögen nach Nieden an. Die Größe der Läsion am rechten Auge belaufe sich auf weniger als 4 Papillenflächen. Blutungen zeigten die Progression der Erkrankung an. Zur Behandlung sei eine PDT angezeigt, bei der es sich aber nicht um eine Kassenleistung handele. Hierfür stehe ein Zeitfenster von 8 Tagen zur Verfügung.
Ziel der PDT ist es, Gefäßneubildungen im Augenhintergrund zu beseitigen, ohne die darüber liegende Netzhaut zu zerstören, indem der Arzneimittelwirkstoff in die Blutbahn injiziert und anschließend mittels nichtthermischen Laserlichts gezielt im Auge aktiviert wird. Das hierfür eingesetzte Arzneimittel Visudyne® mit dem Wirkstoff Verteporfin ist auf Grund einer Genehmigung der Europäischen Arzneimittelagentur (EMEA) vom 27.07.2000 unter der Zulassungsnummer EU/1/00/140/001 für den Arzneimittelverkehr in der Europäischen Union zugelassen. Die Genehmigung erstreckt sich auf die Anwendung bei AMD mit vorwiegend klassischer subfovealer CNV, okkulter subfovealer CNV mit Beleg eines neu aufgetretenen oder fortschreitenden Krankheitsverlaufs sowie bei subfovealer CNV in Folge pathologischer Myopie. Anhang I Abschnitt 5.1 "Pharmakodynamische Eigenschaften" der Genehmigung und Abschnitt 5.1 der gleichlautenden Fachinformationen der N. GmbH für Visudyne® stützen sich unter Anderem auf die Ergebnisse einer 24-monatigen, randomisierten, placebokontrollierten, doppelblinden, multizentrischen Studie (BPD OCR 003 AMD - "Verteporfin in photodynamischer AMD-Therapie" - VIP -), in die Patienten mit subfovealer, okkulter CNV ohne klassische Anteile und einem Visus von ≫ 0,2 eingeschlossen waren ( Verteporfin In Photodynamic Therap...