Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Anspruch auf Hörgeräteversorgung. technisch fortschrittlicheres Hilfsmittel. keine Begrenzung. Festbetrag. Ermittlung. preiswertere Versorgungsalternative. gestufte Darlegung- und Beweislast
Leitsatz (amtlich)
1. Der Anspruch des Versicherten auf Versorgung mit Hörgeräten richtet sich darauf, ihn, soweit es seine Behinderung zulässt und technisch machbar ist, in die Lage zu versetzen, im Alltag mit normal Hörenden gleichzuziehen (vgl BSG vom 23.7.2002 - B 3 KR 66/01 R = SozR 3-2500 § 33 Nr 45).
2. Beantragt der Versicherte die Versorgung mit Hörgeräten, die im Vergleich mit seiner bisherigen Versorgung wesentliche Gebrauchsvorteile im Alltag aufweisen, dann erstreckt sich der Sachleistungsanspruch für den Ausgleich der konkreten Behinderung auf das technisch fortschrittlichere Hilfsmittel (vgl BSG vom 6.6.2002 - B 3 KR 68/01 R = SozR 3-2500 § 33 Nr 44).
3. Kann der Ausgleich der konkreten Hörschädigung im Sinne eines Gleichziehens mit normal Hörenden nicht mit den zum Festbetrag angebotenen Hörgeräten erzielt werden, dann begrenzt der für Hörgeräte festgesetzte Festbetrag die Leistungspflicht der Krankenkasse nicht (vgl BSG vom 23.1.2003 - B 3 KR 7/02 R = BSGE 90, 220 = SozR 4-2500 § 33 Nr 1).
4. Für die Ermittlung preiswerter Versorgungsalternativen von Amts wegen gilt eine gestufte Darlegungs- und Beweislast. Lassen sich wesentliche Gebrauchsvorteile des vom Versicherten gewählten Hörgeräts gegenüber den von der Krankenkasse konkret zu benennenden Versorgungsalternativen in einer vergleichenden Funktionserprobung nicht positiv feststellen, geht die Unerweislichkeit zu Lasten des Versicherten.
Tenor
I. Der Bescheid vom 25.09.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.09.2003 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger den für die Versorgung mit den Hörgeräten vom Typ "S" (Hilfsmittelverzeichnis Pos. Nr. 13.20.03.xxxx) über den Festbetrag hinaus aufgewandten Betrag von 1.721,74 EUR zu erstatten.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Erstattung des den Festbetrag übersteigenden Eigenanteils zur Versorgung mit Hörgeräten.
Der 1946 geborene und bei der Beklagten krankenversicherte Kläger leidet rechts an mittelgradiger, links an hochgradiger Innenohrschwerhörigkeit (ICD-10 Nr. H90.3). Darüber hinaus ist er blind. Zuletzt war der Kläger 1996 mit Hörgeräten versorgt worden.
Am 03.05.2002 verordnete die behandelnde Fachärztin für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde Dr. med. R neue Hörhilfen. In einem ärztlichen Attest vom 16.05.2002 regte sie gegenüber der Beklagten an, zu prüfen, ob nicht ein höherer Kassenanteil gezahlt werden könne. Wegen der zusätzlichen Sehstörung des Klägers sei eine optimale Hörgeräteversorgung geboten.
Der vom Kläger beauftragte Hörgeräteakustiker M, Fa. M, unterbreitete unter dem 02.08.2002 einen Kostenvoranschlag für zwei Hinter-dem-Ohr-Hörgeräte "S" (Pos. 13.20.03.xxxx des Hilfsmittelverzeichnisses) zu je 1.308,74 EUR zuzüglich zwei Otoplastiken (Pos. 13.20.09.0001) zu je 43,23 EUR sowie den zweifachen Zuschlag für die Verwendung weichen otoplastischen Materials (Pos. 13.99.09.0001) zu je 5,11 EUR, insgesamt 2.714,16 EUR.
Am 22.08.2002 wurden dem Kläger zwei Hörgeräte dieses Typs, zunächst zur Probe, ausgehändigt.
Der Kläger wandte sich am 09.09.2002 mit Schreiben vom 06.06.2002 an die Beklagte und beantragte wegen seiner Schwerhörigkeit und der dazu kommenden Blindheit die Übernahme des Eigenanteils der Hörgeräte durch die Krankenversicherung.
Mit Bescheid vom 25.09.2002 bewilligte die Beklagte dem Kläger eine Zuschuss zu den Kosten der Versorgung mit Mehrkanal-Hörgeräten einschließlich der Ohrpassstücke bis zur Höhe des Festbetrags der Festbetragsgruppe III von insgesamt 992,41 EUR. Eine Kostenübernahme über den Festbetrag hinaus komme jedoch nicht in Betracht. Der Bescheid war nicht mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen.
Im Vorgriff auf einen angekündigten Widerspruch des Klägers und einen Antrag auf Akteneinsicht vom 30.10.2002 holte die Beklagte eine Stellungnahme der Gutachterärztin des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Dr. med. P vom 18.11.2002 ein. Diese bejahte an Hand der audiologischen Kenndaten des Klägers mit Steilabfall der Hörkurve im sprachrelevanten Bereich die Indikation für Mehrkanal-Hörgeräte.
Im Ergebnis der Hörgeräteanpassung schlug der beauftragte Hörgeräteakustiker am 10.01.2003 die Versorgung mit den beantragten Hörgeräten "S" vor. Der Anpassungsbericht vom 10.01.2003 weist als Ergebnis des Tests mit drei Hörgeräten ein beidohriges Sprachverstehen mit den beantragten Hörgeräten "S" von 80 % gegenüber 55 % bzw. 75 % mit den beiden Vergleichsgeräten sowie ein Verstehen im Freifeld bei 65 dB ohne Störgeräusch von jeweils 80 % auf beiden Seiten und von 90 % beidohrig sowie mit Störgeräusch von 60 % beidohrig aus. Die behandelnde Fachärztin für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde ...