Entscheidungsstichwort (Thema)

Wirtschaftlichkeitsprüfung in der vertragsärztlichen Versorgung. Befugnis zum Abschluss einer individuellen Richtgrößen- und Regressablösevereinbarung. keine Rechteverletzung des Arztes bei Unterlassen eines Angebots für eine individuelle Richtgrößen- und Regressablösevereinbarung bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens. Offenlegung erweiterter Arzneimitteldateien. Darlegungs- und Beweislast zwischen dem Vertragsarzt und den Gremien der Wirtschaftlichkeitsprüfung

 

Orientierungssatz

1. Die Befugnis zum Abschluss einer individuellen Richtgrößen- und Regressablösevereinbarung steht nicht nur dem Prüfungsausschuss, sondern nach Erhebung des Widerspruchs auch dem Beschwerdeausschuss zu.

2. Versäumt es der Arzt, bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens seinen Anspruch auf Unterbreitung eines Angebots für eine individuelle Richtgrößen- und Regressablösevereinbarung geltend zu machen, ist er durch das Unterlassen eines solchen Angebots vor Erlass des Widerspruchsbescheides nicht in seinen Rechten verletzt.

3. Zum Anspruch auf Offenlegung der erweiterten Arzneimitteldateien (vgl BSG vom 2.11.2005 - B 6 KA 63/04 R = BSGE 95, 199 = SozR 4-2500 § 106 Nr 11).

4. Zur Verteilung der Darlegungs- und Beweislast zwischen dem Vertragsarzt und den Gremien der Wirtschaftlichkeitsprüfung bei der Geltendmachung eines Mehraufwandes für Arzneimittelverordnungen auf Grund von Praxisbesonderheiten.

 

Tenor

I. Der Widerspruchsbescheid vom 11.10.2007 wird aufgehoben. Der Beklagte wird verurteilt, über den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid des Prüfungsausschusses vom 21.02.2007 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.

II. Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.

Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Verfahren vor dem Beklagten war notwendig.

III. Der Streitwert wird auf 20.167,57 EUR festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Festsetzung eines Regresses im Ergebnis einer Prüfung der Wirtschaftlichkeit von Arzneimittelverordnungen des Jahres 2003 auf der Grundlage von Richtgrößen.

Der Kläger nimmt als Facharzt für Allgemeinmedizin mit Praxissitz in G., Ortsteil H., an der vertragsärztlichen Versorgung teil.

Mit Bescheid vom 21.02.2007 setzte der Prüfungsausschuss der Ärzte und Krankenkassen Sachsen einen Regress in Höhe von 50.257,03 EUR fest.

Mit seinem am 20.03.2007 hiergegen erhobenen Widerspruch rügte der Kläger Mängel des Prüfungsverfahrens und des Prüfbescheides. Die Richtgrößenvereinbarung für das Jahr 2003 sei unwirksam. Die der Regressfestsetzung zu Grunde gelegten Verordnungskosten seien fehlerhaft ermittelt. Unter anderem seien Hilfsmittel, Impfstoffe und Sprechstundenbedarf mit zugeordnet und Zuzahlungen nicht abgezogen worden. Die Bereinigung um unvollständig übermittelte Verordnungsdaten der BKK-Versicherten sei nicht transparent. Wirtschaftlicher Mehraufwand sei nur unvollständig berücksichtigt worden. Als Praxisbesonderheiten seien die Altersstruktur, insbesondere der hohe Anteil über 70 Jahre alter Patienten, der überdurchschnittliche Anteil von Patienten mit chronisch-obstruktiver Lungenerkrankung, vor allem der Knappschaft, und von Diabetikern sowie drei Patienten mit rheumatologischen Erkrankungen zu berücksichtigen. Beispielhaft benannte der Kläger besonders kostenintensive Patienten. Ausweislich der überdurchschnittlichen Generika-Quote verordne er nicht unwirtschaftlich.

Mit ergänzender Stellungnahme vom 07.05.2007 beantragte der Kläger die Vorlage der erweiterten Arzneimitteldateien. Die eingesehene Unterlagen seien teilweise unvollständig oder unlesbar. Im Prüfbescheid erwähnte Spezialpräparate ließen sich nicht zuordnen.

Mit am 15.10.2007 zugestellten Widerspruchsbescheid vom 11.10.2007 in der Fassung des ergänzenden Bescheides vom 07.09.2007, der am selben Tag abgesandt wurde, setzte der Beklagte die Höhe des Regresses auf 20.167,57 EUR fest. Der Regressberechnung legte er Verordnungskosten gemäß der Nachmeldung der Krankenkassen in Höhe von 692.683,08 EUR zu Grunde. Ausgehend von den Richtgrößen für Rentner von 109,42 EUR und für sonstige Mitglieder und Familienversicherte von 33,27 EUR ergebe sich ein Richtgrößenvolumen von 368.741,55 EUR, das um 87,85 % überschritten sei. Abzüglich des als wirtschaftlich anerkannten Mehraufwandes von 114.552,06 EUR reduziere sich die Überschreitung auf 56,8 % und der unwirtschaftliche Aufwand auf brutto 25.018,69 EUR. An Hand der Nettoverordnungskostenquote von 80,61 % ergebe sich hieraus der Nettoregress von 20.167,57 EUR. Der als wirtschaftlich anerkannte Mehraufwand von 114.552,06 EUR setze sich zusammen aus den Kosten für die Behandlung eines Patienten mit terminaler Niereninsuffizienz zuzüglich der analgetischen Begleitmedikation (Valorin, Tramundin) in Höhe von 959,37 EUR, den Kosten für Insulin in Höhe von 36.844,22 EUR, für orale Antidiabetika (Metformin, Glucobay, Amaryl, Avandia, Actos, Miglitol) in Höhe von 9.579,26 EUR, was den Verordnungskosten für 45 Patienten entspreche, da der Kl...

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