Entscheidungsstichwort (Thema)
Überschreiten der Hinzuverdienstgrenze. kein Hinzuverdienst im Vormonat. Vormonatsprinzip. Verfassungsmäßigkeit
Orientierungssatz
1. Im Monat des erstmaligen Zusammentreffens von Rente und Hinzuverdienst ist das Überschreiten auch dann nach § 34 Abs 2 S 2 SGB 6 privilegiert, wenn im Vormonat noch kein Hinzuverdienst erzielt wurde.
2. Ausgehend von der Annahme des BSG in den Urteilen vom 6.2.2007 - B 8 KN 3/06 R = SozR 4-2600 § 96a Nr 9 und vom 26.6.2008 - B 13 R 119/07 R = BSGE 101, 97 = SozR 4-2600 § 34 Nr 2, ein Überschreiten richte sich nach der im Vormonat eingehaltenen Hinzuverdienstgrenze, ist die Privilegierung anzuwenden, wenn im Vormonat kein Hinzuverdienst erzielt wurde, da in diesem Fall die Hinzuverdienstgrenze nicht überschritten, sondern eingehalten wurde.
3. Gegen die Anwendung eines Vormonatsprinzips spricht auch ein Vergleich folgender Fallgestaltungen: Ein Versicherter, der während des gesamten Jahres Hinzuverdienst unterhalb der Hinzuverdienstgrenze erzielt bis auf die Monate Juli und August, in denen er die Grenze überschreitet (jedoch nicht um das Doppelte), dürfte unter Anwendung des § 34 Abs 2 S 2 SGB 6 wegen zweimaligen zulässigen Überschreitens seinen gesamten Jahresverdienst behalten. Einem anderen Versicherten, der nur in den Monaten Juli und August beschäftigt ist und in diesem Zeitraum einen identischen Verdienst erzielt, würde die Rente gekürzt. Ein sachlicher Grund hierfür lässt sich nicht finden. Das Vormonatsprinzip begegnet in dieser Konstellation erheblichen Bedenken im Hinblick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art 3 Abs 1 GG.
Tenor
1. Der Bescheid der Beklagten vom 07.09.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.02.2008 wird aufgehoben, soweit für die Monate April und Mai 2005 eine Überzahlung in Höhe von 401,80 € festgesetzt wird.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu zwei Dritteln zu erstatten.
4. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Verpflichtung der Klägerin zur Erstattung von Rente.
Mit Rentenbescheid vom 14.11.2002 gewährte die Beklagte der 1942 geborenen Klägerin Altersrente für Frauen mit Wirkung ab dem 01.11.2002. Anlage 19 des Rentenbescheids stellt die für die Klägerin geltenden Hinzuverdienstgrenzen dar (Bl. 111 der Verwaltungsakte der Beklagten).
Die Klägerin war ab April 2005 für die K. GmbH tätig. Im April 2005 erzielte sie einen Bruttoverdienst von 455,73 €, im Mai 532,61 €, im Oktober 372,60 € und im Dezember 393,30 €. In den übrigen Monaten des Jahres 2005 lag der erzielte Bruttoverdienst unter 345,- €. Die “Erklärung für geringfügig und kurzfristig Beschäftigte„, die von der Klägerin und dem Arbeitgeber mit Datum 10.09.2006 unterzeichnet wurden, bezeichnet als Beginn der Tätigkeit den 01.03.2005 und als monatliches Arbeitsentgelt 340,- €.
Nach vorheriger Anhörung erließ die Beklagte den streitgegenständlichen Rentenbescheid vom 07.09.2007. Darin forderte sie einen Betrag von 541,81 € von der Klägerin zurück, der im Zeitraum vom 01.04.2005 bis 31.10.2007 an die Klägerin überzahlt worden sei. Für die Monate April und Mai 2005 stehe der Klägerin nur eine 2/3-Teilrente zu, so dass sich unter Verrechnung mit bereits geleisteten Rentenzahlungen für diese beiden Monate eine Überzahlung von 401,80 € ergebe (Anlage 1 Seite 4 des Rentenbescheids vom 07.09.2007). Aus dem gleichen Grund ergebe sich für Dezember 2005 eine Überzahlung von 199,91 €. Für die übrigen Monate im Zeitraum vom 01.04.2005 bis 31.10.2007 berechnete die Beklagte mehrere Nachzahlungen. Unter Verrechnung dieser Nachzahlungen setzte die Beklagte eine Überzahlung von insgesamt 541,81 € fest.
Den dagegen eingelegten Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 14.02.2008 zurück. Zur Begründung führte die Beklagte aus, die Klägerin habe im Jahr 2005 viermal die Hinzuverdienstgrenze überschritten. Im April sei die einfache Hinzuverdienstgrenze von 345,- € überschritten, die Hinzuverdienstgrenze für eine 2/3-Rente aber eingehalten worden. Die Möglichkeit zweimaligen Überschreitens der Hinzuverdienstgrenze, wie in § 34 Abs. 2 Satz 2 SGB VI vorgesehen, könne für April 2005 keine Anwendung finden, da in diesem Monat ein erstmaliges Zusammentreffen von Rente und Hinzuverdienst erfolgt sei. In diesem Fall könne nicht auf eine maßgebliche Hinzuverdienstgrenze des Vormonats zurückgegriffen werden.
Im Mai 2005 werde die maßgebliche Hinzuverdienstgrenze für eine 2/3-Teilrente überschritten, was allerdings nach § 34 Abs. 2 Satz 2 SGB VI zulässig sei. Deshalb stehe in diesem Monat eine 2/3-Teilrente zu. Im Oktober 2005 werde die Hinzuverdienstgrenze für eine Vollrente überschritten. Dies sei aber als zweimaliges Überschreiten ebenfalls nochmals zulässig.
Im Dezember 2005 sei die Hinzuverdienstgrenze für eine Vollrente erneut überschritten. Da bereits die Hinzuverdienstgrenze zweimal überschritten worden sei, sei das erneute Überschreiten...