Entscheidungsstichwort (Thema)

Überprüfungsantrag einer Regelaltersrente. früherer Rentenbeginn und rückwirkende Gewährung einer Rente nach dem ZRBG. Verfassungsmäßigkeit

 

Orientierungssatz

1. Zum Beginn einer Rente bei Berechtigten des Personenkreises des § 1 ZRBG im Falle eines erstmaligen Rentenantrages noch vor Juli 2003 schon ab dem 1.7.1997, wenn bereits eine bestandskräftig gewordene Ablehnung des Rentenantrags vorlag und die Rente erst danach aufgrund eines Überprüfungsverfahrens bewilligt wurde unter Anwendung von § 44 SGB 10 oder § 100 Abs 4 SGB 6.

2. Der allgemeine Gleichbehandlungsgrundsatz des Art 3 Abs 1 GG erfordert es im Wege richterlicher - aus Verfassungsgründen notwendiger - Rechtsfortbildung, die allgemeinen, die Rente von Versicherten beschränkenden Verfahrens- und Ausschlussvorschriften des Sozialrechts (hier § 44 Abs 4 SGB 10 und § 100 Abs 4 SGB 6) nicht anzuwenden.

 

Tenor

Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 21.04.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.06.2010 verurteilt, der Klägerin zusätzlich die Regelaltersrente für die Zeit vom 01.07.1997 bis 31.12.2004 nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu zahlen.

Die Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Die Sprungrevision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob der Klägerin auch für den Zeitraum vom 01.07.1997 bis zum 31.12.2004 die gemäß den Vorschriften des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG) bewilligte Regelaltersrente nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften (und damit unter Zugrundelegung eines niedrigeren Zugangsfaktors gemäß § 77 Abs. 2 Nr. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) in der bis zum 31.12.2000 geltenden Fassung als des für die Berechnung der bisherigen, ab dem 01.01.2005 gewährten Regelaltersrente herangezogenen Zugangsfaktors) zu gewähren ist.

Die Klägerin wurde am 00.00.1929 in T/ Kreis Luck/ damals Polen als polnische Staatsangehörige jüdischer Abstammung geboren. Zumindest vom 15.09.1941 bis Februar 1944 war sie durch nationalsozialistische Verfolgungsmaßnahmen in ihrer Freiheit beeinträchtigt bzw. ihrer Freiheit beraubt. Während dieses Zeitraumes war sie jedenfalls von September 1941 bis zumindest dem 31.05.1942 gezwungen, im Ghetto Sofievka, das damals zum Generalbezirk Wolhynien-Podolien des sog. Reichskommissariates Ukraine gehörte, zu wohnen. In dieser Zeit ging sie zumindest vom 01.11.1941 bis zum 31.05.1942 einer ihr durch den Judenrat des Ghettos vermittelten Beschäftigung in der Schusterwerkstatt des Ghettos Sofievka nach; als Entlohnung erhielt sie dafür Essen am Arbeitsort und ein- oder zweimal ein Paar Schuhe. Von September 1943 an bis zu ihrer Befreiung im Februar 1944 lebte sie in der Illegalität im Walde S bei Sofievka/ Bezirk Zuman. Nach der Befreiung blieb sie bis 1957 als sowjetische Staatsbürgerin in der Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik der Sowjetunion. Von 1957 bis 1959 hielt sie sich als polnische Staatsbürgerin in Polen auf. Im Februar 1959 wanderte sie von dort nach Israel ein, wo sie seitdem als israelische Staatsangehörige lebt. Sie hat keine Leistungen nach dem Gesetz zur Errichtung einer Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" (EVZStiftG) und auch keine Leistungen aus einem System der Sozialen Sicherheit für die Zeit ihrer Beschäftigung während ihres Ghettoaufenthaltes geltend gemacht.

Am 30.12.2002 beantragte sie bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA), Berlin, unter anderem die Gewährung der Regelaltersrente aus der deutschen Rentenversicherung unter besonderer Berücksichtigung der Vorschriften des ZRBG. Dazu gab sie in einem von der BfA, Berlin, ausgearbeiteten Fragebogen unter dem 17.02.2003 an, sie sei von November 1941 bis September 1943 in der Schusterwerkstatt des Ghettos Sofievka damit beschäftigt gewesen, das zugeschnittene Lederteil auf der Maschine zusammenzunähen. Sie habe die Werkstätte gereinigt, aufgeräumt, die genähten Schuhe sortiert und dann an Schuster weitergegeben. Die Arbeitsvermittlung sei durch den Judenrat des Ghettos erfolgt. Als Entlohnung habe sie Essen am Arbeitsort und ein- oder zweimal ein Paar Schuhe bekommen.

Die Beklagte zog die die Klägerin betreffende Bundesentschädigungsgesetz(BEG)-Akte der Bezirksregierung Düsseldorf - Abteilung Wiedergutmachung - und die bei der Jewish Claims Conference (JCC), Frankfurt am Main, über die dort von der Klägerin gestellten Anträge verwahrten Unterlagen bei.

Nach Auswertung dieser Unterlagen lehnte es die Beklagte mit Bescheid vom 01.03.2004 ab, der Klägerin eine Rente unter Berücksichtigung von Beitragszeiten nach Maßgabe des ZRBG zu gewähren. Sie begründete dies im Wesentlichen damit, die Klägerin erfülle nicht die für eine Rentengewährung erforderliche Mindestversicherungszeit (Wartezeit) im Sinne des § 34 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI). Im Falle der Klägerin seien keine für die Wartezeit anrechenbaren Zeiten vorhanden. Gegenüber der JCC habe die Kläger...

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