Entscheidungsstichwort (Thema)
Anrechnung von Entlassungsgeld auf Grundsicherungsleistungen
Orientierungssatz
1.Grundsätzlich stellt das Überbrückungsgeld nach § 51 StVollzG zu berücksichtigendes Einkommen im Sinne von § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II dar, denn es handelt sich um eine Einnahme in Geld.
2.Durch die gesetzlich vorgesehene Unterhaltssicherungsfunktion des Überbrückungsgeldes für die Dauer von vier Wochen ist es geboten, die Einnahme auch im Rahmen der Prüfung einer Leistungsberechtigung nach dem SGB II entsprechend zu berücksichtigen und ausnahmsweise nicht als Einkommen auf einen längeren Zeitraum aufzuteilen. Ansonsten hätte dies zur Folge, dass der Gesetzeszweck verfehlt würde, denn bei Anrechnung des Überbrückungsgeldes auf einen längeren Zeitraum wäre der Strafgefangene nach Entlassung aus der Haft entgegen dem Gesetzeszweck von § 51 Abs. 1 StVollzG auch in den ersten vier Wochen nach der Entlassung auf Sozialhilfe bzw. Leistungen nach dem SGB II angewiesen.
3.Die Auslegung der Vorschrift des § 2 Abs. 3 Satz 3 ALG II-VO muss im Lichte des § 51 Abs. 1 StVollzG als höherrangiges Recht erfolgen und darf dessen Sinn und Zweck nicht widersprechen, da dem StVollzG insoweit ein "Geltungsvorrang" zukommt.
Tenor
Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger unter Abänderung des Bescheids vom 14.10.2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 10.02.2009 Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 06.10.2008 - 28.02.2009 ohne Anrechnung von Überbrückungsgeld (mtl. 157,55 EUR) zu gewähren.
Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Tatbestand
I. Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Anrechnung von Entlassungsgeld auf die Grundsicherungsleistungen des Klägers.
Der Kläger befand sich bis zum 08.09.2008 in Strafhaft und beantragte am 10.09.2008 bei der Beklagten Leistungen zur Grundsicherung nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch (SGB II). Aufgrund seiner Haftentlassung erhielt der Kläger am Tage seiner Entlassung ein sogenanntes "Überbrückungsgeld" gemäß § 51 Strafvollzugsgesetz (StVollzG) in Höhe von insgesamt 1.125,29 EUR. Mit Bescheid vom 14.10.2008 bewilligte die Beklagte dem Kläger Leistungen für den Zeitraum vom 10.09.2008 bis 28.02.2009 unter Anrechnung eines monatlichen Anrechnungsbetrages in Höhe von 157,55 EUR. Diesen Anrechnungsbetrag berechnete die Beklagte aus einer Verteilung der einmaligen Einnahme in Höhe des streitgegenständlichen Betrages auf einen Zeitraum von sechs Monaten gemäß § 2 Abs. 4 S. 3 ALG II-VO abzüglich eines monatlichen Freibetrages in Höhe von 30 EUR als Versicherungspauschale. Dagegen legte der Kläger im Folgenden Widerspruch ein, welcher mit Widerspruchsbescheid vom 10.02.2009 als unbegründet zurückgewiesen wurde.
Sodann hat der Kläger vor dem erkennenden Gericht Klage erhoben, mit welcher er geltend macht, dass eine Anrechnung des Überbrückungsgeldes grundsätzlich nur in den ersten vier Wochen nach der Haftentlassung bedarfsmindernd berücksichtigt werden dürfte, da dies dem Sinn und Zweck des § 51 Abs. 1 Strafvollzugsgesetz entspräche, wonach das Überbrückungsgeld nur zur Sicherung des Lebensunterhalts in den ersten vier Wochen nach der Haftentlassung diene. Zudem habe er - was zwischen den Beteiligten unstreitig ist - 658,00 EUR des Entlassungsgeldes zur Tilgung einer Geldstrafe verwendet, welche ihm sein Schwager "vorfinanziert" habe.
Die Beklagte ist hingegen der Auffassung, dass die Begleichung von Schuldverpflichtungen nicht zu einer anderen Beurteilung führen könne, da Einnahmen grundsätzlich vorrangig zur Deckung des Lebensunterhalts einzusetzen seien. Zudem gehöre das Überbrückungsgeld nach den Rechtsvorschriften des SGB II nicht zu den in § 11 Abs. 1 SGB II abschließend aufgeführten privilegierten Einkommenstatbeständen, womit es vollumfänglich zur Deckung des Lebensunterhalts einzusetzen sei.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und Verwaltungsakte verwiesen, welche Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
II. Die Klage ist begründet.
Dem Kläger waren in dem aus dem Tenor ersichtlichen Zeitraum Grundsicherungsleistungen ohne die Anrechnung von Überbrückungsgeld i.S.d. § 51 StVollzG zu gewähren.
Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II (Zweites Sozialgesetzbuch) erhalten Leistungen nach diesem Buch Personen, die (1.) das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht haben, (2.) erwerbsfähig sind, (3.) hilfebedürftig sind (4.) ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Hilfebedürftige).Der Kläger gehörte im streitgegenständlichen Leistungszeitraum unstreitig zum leistungsberechtigten Personenkreis.
Hilfebedürftig ist nach § 9 Abs. 1 SGB II, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht (1.) durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit, (2.) aus dem zu berücksich...