Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Krankenhaus. Schadensersatzanspruch bei Verlegung des Versicherten vor dessen Entlassfähigkeit in ein anderes Krankenhaus

 

Orientierungssatz

1. Die Vorschriften des BGB über Schadensersatz wegen Pflichtverletzung sind auf das Verhältnis zwischen Krankenhausträger und Krankenkasse anwendbar (Anschluss an BSG vom 12.12.2013 - B 1 KR 22/12 R = BSGE 115, 11 = SozR 4-2500 § 69 Nr 9 RdNr 11).

2. Ist ein Krankenhaus entsprechend dem Versorgungsauftrag zur geriatrischen Komplexbehandlung eines Versicherten verpflichtet und verlegt es diesen vor dessen Entlassfähigkeit in ein anderes Krankenhaus, so verletzt es durch die Verlegung des Versicherten in das aufnehmende Krankenhaus eine ihm gegenüber der Krankenkasse bestehende Pflicht.

3. Das Krankenhaus trägt als Schuldner die Darlegungs- und Beweislast für das Nichtvertretenmüssen. Spricht nichts für das Vorliegen freier Kapazitäten in der Geriatrie des verlegenden Krankenhausträgers, so ist das Krankenhaus der Krankenkasse zum Ersatz des entstandenen Schadens verpflichtet.

4. Die Höhe des Schadensersatzanspruchs bestimmt sich nach § 249 Abs 2 S 1 BGB. Hierzu zählen die Kosten des aufnehmenden Krankenhauses sowie die Kosten für den Verlegungstransport.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 29.08.2023; Aktenzeichen B 1 KR 18/22 B)

 

Tenor

Die Beklagte wird verpflichtet, an die Klägerin einen Betrag i.H.v. 3.553,65 nebst Zinsen i.H.v. 2 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 03.04.2017 zu zahlen. Der Streitwert wird auf 3.553,65 EUR festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Tragung der durch die Verlegung eines stationär behan-delten Patienten verursachten Mehrkosten.

Die Klägerin ist eine gesetzliche Krankenversicherung. Der bei der Klägerin krankenver-sicherte Siegfried G., geb. am 12.01.19xx (nachfolgend: der Versicherte) wurde bei der Beklagten in der Zeit vom 27.07.2016 bis 01.09.2016 stationär behandelt und am 01.09.2016 zur geriatrischen Weiterbehandlung in das Katholische Klinikum R. (nach-folgend: das aufnehmende Krankenhaus) verlegt. Dort verblieb der Versicherte bis zum 23.09.2016. Die medizinische Notwendigkeit der stationären geriatrischen Komplexbe-handlung sowie der Verweildauer ist zwischen den Beteiligten unstreitig.

Die Beklagte ist ein zugelassenes Plankrankenhaus in NRW. In der Anlage zum Fest-stellungsbescheid vom 24.11.2014 betr. die Beklagte sind 100 (Soll und Ist) Betten der Fachabteilung Geriatrie ausgewiesen. Die Beklagte unterhält in ihrer Betriebsstelle in der G.str. Hausnummer x in E. das Geriatrie-Zentrum "Haus B.", in der sich die Geriatrie-Betten befinden. Für das Behandlungsjahr 2016 rechnete die Beklagte bei der Klägerin 187 geriatrische Komplexbehandlungen ab; zum Verlegungszeitpunkt nahm die Beklag-te sieben andere bei der Klägerin versicherte Patienten im Geriatrie-Zentrum im Haus B. auf. Ursprünglich war die Verlegung des Versicherten in das Geriatrie-Zentrum Haus B. in E. ins Auge gefasst worden. Hierzu befindet sich in der Patientenakte unter dem Da-tum 24.08.2016 die Eintragung "morgen Anruf Haus B. Gerikomplex". Aus welchen Grün-den der Versicherte für die unstreitig erforderliche geriatrische Komplexbehandlung letzt-lich nicht in das Geriatrie-Zentrum Haus B. sondern in das aufnehmende Krankenhaus verlegt wurde, lässt sich der Patientenakte nicht entnehmen noch sonst nachvollziehen oder aufklären.

Für die stationäre Behandlung bei der Beklagten zahlte die Klägerin an die Beklagte ei-nen Betrag i.H.v. 5.367,98 EUR, und für die stationäre Behandlung bei dem aufnehmenden Krankenhaus einen Betrag i.H.v. 7.174,88 EUR, mithin insgesamt für den Behandlungsfall des Versicherten für den Zeitraum 27.07.2016 bis 23.09.2016 einen Betrag i.H.v. 12.542,86 EUR. Bei einer durchgehenden Behandlung des Versicherten im Haus der Be-klagten in der Zeit vom 27.07.2016 bis 01.09.2016 wären für die Klägerin Kosten i.H.v. 9.097,01 EUR angefallen. Weiterhin sind der Klägerin Transportkosten für die Verlegung des Versicherten i.H.v. 107,80 EUR entstanden.

Die Klägerin beauftragte am 30.09.2016 den Medizinischen Dienst der Krankenversiche-rung (MDK) mit der Fragestellung, ob es medizinische Gründe für die Verlegung des Versicherten in das aufnehmende Krankenhaus gegeben habe. Der MDK kam mit gut-achtlicher Stellungnahme vom 18.11.2016 zu dem Ergebnis, dass es keine medizini-schen Gründe gegeben habe, aus denen nicht die Beklagte selbst die geriatrische Kom-plexbehandlung in der klinikinternen Geriatrie "Haus B." hätte durchführen können.

Die Klägerin hat unter dem 03.04.2017 bei dem Sozialgericht Duisburg Klage erhoben, mit der sie die Zahlung von 3.553,65 EUR Schadensersatz geltend macht. Da bei einer durchgehenden Behandlung des Versicherten im Haus der Beklagten in der Zeit vom 27.07.2016 bis 01.09.2016 Kosten i.H.v. 9.097,01 EUR angefallen wären, sei die Differenz zu den tatsächlich angefallenen Kosten i.H.v. 12.542,86 EUR, mithin der Betrag i.H.v. 3.445,85 EUR zzgl. der Kosten für den Verlegungstr...

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