Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen der Anerkennung einer während der Arbeitszeit des Versicherten erlittenen Corona-19-Infektion als Arbeitsunfall
Orientierungssatz
1. Der Versicherte hat Anspruch auf Anerkennung seiner COVID-19-Infektion als Arbeitsunfall i. S. von § 8 Abs. 1 SGB 7, wenn er sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bei seinem Arbeitskollegen mit dem Corona-Virus infiziert hat.
2. Hat der Versicherte im maßgeblichen Zeitraum nachweislich lediglich mit seiner Lebensgefährtin, die als Krankenhausbeschäftigte durchgehend negativ getestet wurde, Kontakt gehabt und ist erwiesen, dass er durchgehend ausschließlich mit seinem Corona-infizierten Arbeitskollegen in engem Kontakt gestanden hat, so scheidet irgend ein anderer Umstand für die Infizierung des Versicherten mit der erforderlichen Sicherheit aus. In einem solchen Fall ist die Covid-19-Infektion des Versicherten als Arbeitsunfall nach § 8 Abs. 1 SGB 7 anzuerkennen.
Tenor
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 04.03.2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.06.2022 verpflichtet, die COVID-19-Infektion des Klägers vom 15.01.2021 als Arbeitsunfall anzuerkennen.
Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Anerkennung einer COVID-19-Infektion des Klägers als Arbeitsunfall nach dem Siebten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII).
Der Kläger war als Werkleiter bei der GmbH in Hann. Münden tätig. Am 11.01.2021 nahm der Kläger nach seinem Weihnachtsurlaub seine Arbeit wieder auf, wobei er am 11.01.2021 und am 12.01.2021 mehrere Gespräche mit seinem Kollegen, dem Zeugen M. in seinem eigenen und in dem Büro des Herrn M. führte. Der Zeuge M. führte sodann am Abend des 12.01.2021 einen Selbsttest durch, der positiv war, ebenso wie der am Morgen des 13.01.2021 durchgeführte PCR-Test. Ein vom Betriebsarzt am 13.01.2021 durchgeführter Schnelltest des Klägers war negativ, am Abend des 14.01.2021 bemerkte der Kläger jedoch Corona-spezifische Symptome, woraufhin ein am 15.01.2021 vom Betriebsarzt durchgeführter Schnelltest sowie ein PCR-Test vom selben Tag positiv waren.
In einer E-Mail vom 12.11.2021 an die Beklagte gab der Kläger an, er gehe davon aus, dass seine COVID-19-Infektion ein Arbeitsunfall sei. Er habe in der fraglichen Woche keine privaten Kontakte gehabt, da er alleine wohne. Bei seinem Weihnachtsurlaub in der Heimat sei niemand infiziert gewesen.
Die Arbeitgeberin des Klägers gab in einem Fragebogen der Beklagten vom 15.12.2021 an, es habe ein enger Kontakt (≪1,5 m, Nahfeld) des Klägers länger als 10 Minuten im Rahmen eines Gesprächs mit dem Kollegen Herrn M. in dessen Büro bestanden, wobei
Herr M. teilweise keinen adäquaten Mund-Nasen-Schutz getragen habe, sondern nur ein Halstuch.
Der Zeuge M. wiederum gab in einem Fragebogen der Beklagten vom 04.02.2022 an, er habe am Abend des 12.01.2021 einen positiven Selbsttest durchgeführt. Circa 2 Tage später habe er dann erste Symptome bemerkt. Er habe zuvor am 12.01.2021 einen Kontakt mit dem Kläger im Rahmen einer ca. 10-minütigen Abstimmung gehabt, bei der der Mindestabstand von 1,5 m eingehalten und durchgehend Mund-Nasen-Masken getragen worden seien.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 04.03.2022 lehnte die Beklagte sodann die Anerkennung der COVID-19-Infektion des Klägers vom 15.01.2021 als Arbeitsunfall ab mit der Begründung, zur Anerkennung einer COVID-19-Infektion als Arbeitsunfall müsse im Rahmen der beruflichen Tätigkeit ein intensiver Kontakt mit einer infektiösen Person (Indexperson) nachweislich stattgefunden haben. Die Intensität des Kontakts bemesse sich dabei nach der Dauer und der örtlichen Nähe. Dabei gehe man von einer Kontaktdauer von mindestens 15 Minuten bei einer räumlichen Entfernung von weniger als 1,5 bis 2 Metern aus. Es lägen von dem Kläger und Herrn M. gerade in den wesentlichen Punkten widersprüchliche Angaben vor, Zeugen gebe es auch nicht. Daher sei nicht eindeutig nachgewiesen (Vollbeweis des Tatbestandsmerkmals "Unfall"), dass sich der Kläger die Infektion tatsächlich im Rahmen seiner versicherten Tätigkeit zugezogen hat.
Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger am 22.03.2022 Widerspruch. Aufgrund der Enge der Räumlichkeiten und der Nähe des Zimmers des Herrn M. zum Zimmer des Klägers sei eine Übertragung des Virus mindestens plausibel. Eine Inaugenscheinnahme des Arbeitsplatzes des Klägers sei daher notwendig.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 14.06.2022 unter Wiederholung und Vertiefung der Begründung des Ausgangsbescheids zurück.
Am 11.07.2022 hat der Kläger die vorliegende Klage erhoben.
Zur Begründung seiner Klage trägt er vor, er habe seine Bürotür im Januar 2021 fast immer geschlossen gehalten, der Zeuge M. hingegen habe seine Tür zum Flur hin oft geöffnet gehabt, wobei die Bürotüren ca. 2 Meter voneinander entfernt gewesen seien. Der Flur habe wegen des Gangs zur Toilette und zum Kopiergerät vor dem Büro des Herrn M. benutzt werden müssen, wobei der F...