Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Eingliederungshilfe. Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung. Schulbegleitung zur Teilnahme am Nachmittagsprogramm einer Offenen Ganztagsschule

 

Orientierungssatz

1. Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung nach § 92 Abs 2 S 1 Nr 2 SGB 12 sind nicht auf den Unterricht begrenzt, sondern können sich auch auf außerunterrichtliche Angebote einer Offenen Ganztagsschule beziehen.

2. Dabei ist zunächst maßgeblich, ob der offene Ganztag eine objektiv finale Zielrichtung in Bezug auf die Schulbildung aufweist (vgl LSG Essen vom 1.6.2015 - L 9 SO 89/15 B ER und LSG Celle-Bremen vom 10.4.2014 - L 8 SO 506/13 B ER).

3. Geeignet iS des § 12 Nr 1 BSHG§47V ist die Maßnahme, wenn nach den Fähigkeiten und Leistungen des behinderten Menschen zu erwarten ist, dass er das Bildungsziel erreichen wird.

4. Die Erforderlichkeit einer Teilnahme an einem freiwilligen nachmittäglichen Betreuungsangebot kommt in Betracht, wenn eine Betreuung im häuslich-familiären Bereich aus zwingenden, insbesondere pädagogischen Gründen nicht in ähnlicher Weise möglich ist (vgl LSG Essen vom 15.1.2014 - L 20 SO 477/13 B ER).

 

Tenor

Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin 1.100,00 EUR für Aufwendungen für eine Betreuung im Nachmittagsbereich in dem Schuljahr 2012/2013 zu erstatten.

Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Erstattung von Aufwendungen i.H.v. 1.100,00 EUR, welche im Schuljahr 2012/2013 für eine Betreuung der Klägerin anlässlich einer Teilnahme an außerunterrichtlichen Angeboten in einer offenen Ganztagsschule im Primarbereich angefallen sind.

Die am 23.11.20xx geborene Klägerin wurde seit dem Jahre 20xx aufgrund eines bösartigen Tumors der Harnblase (embryonales Rhabdomyosarkom) in der Klinik und Poliklinik für Urologie, Kinderurologie und urologische Onkologie des Universitätsklinikums Essen behandelt. Im Februar 20xx wurde die Harnblase operativ entfernt (radikale Zystektomie) und es wurde ein Ileumconduit als inkontinente Harnableitung angelegt, bei dem der Urin aus den Nieren durch die Harnleiter, durch ein Stück Dünndarm über eine Öffnung in der Bauchdecke in einen Beutel abgeführt wurde. Im März 20xx wurde das Conduit operativ in eine kontinente Harnableitung (Harnleiter-Darm-Implantation) umgewandelt, bei der der Urin aus den Nieren durch die Harnleiter in den Enddarm fließt, über den Urin und Stuhl gemeinsam ausgeschieden wird.

Die Klägerin ist das einzige Kind der getrennt lebenden Eltern und bewohnt gemeinsam mit ihrer Mutter, die einer ganztägigen Berufstätigkeit in den Niederlanden nachgeht, eine Zweizimmerwohnung in dem A.-M.-Weg in Kamp Lintfort.

Ab April 20xx besuchte die Klägerin zunächst den Kindergarten "Kleine Oase" in Kamp-Lintfort. In der gesetzlichen Pflegeversicherung ist die Klägerin seit Oktober 20xx der Pflegestufe I zugeordnet. Ausweislich des dieser Einstufung zu Grunde liegenden Gutachtens des MDK Nordrhein vom 12.11.20xx lag bei der Klägerin ein täglicher Zeitaufwand für die Körperpflege in einem Umfang von 92 Minuten vor. Dabei wurde davon ausgegangen, dass 22-mal täglich eine Entleerung des Urinbeutels und einmal täglich eine Entleerung des Stomabeutels notwendig gewesen seien. Weiterhin wurde in dem Gutachten ausgeführt, dass die Klägerin beim Entleeren des Beinbeutels auf Hilfe angewiesen sei, da der Beutel alle 30 Minuten geleert werden müsse. Die Klägerin sei laut des Entwicklungsberichts des Kindergartens gut in die Gruppe integriert, weine jedoch schnell, wenn es um das Entleeren des Stomabeutels gehe.

Im Anschluss an den Kindergarten besuchte die Klägerin seit August 20xx die städtische Gemeinschaftsgrundschule "Ebertschule" in der Auguststrasse in Kamp-Lintfort, welche ca. 3,4 km von der gemeinsam mit der Mutter bewohnten Wohnung entfernt liegt.

Mit Bescheid vom 05.05.20xx stellte das Schulamt des Kreises Wesel einen sonderpädagogischen Förderbedarf mit dem Förderschwerpunkt körperliche und motorische Entwicklung fest. In Bezug auf die Notwendigkeit einer Integrationshelferin wird in dem diesem Bescheid zu Grunde liegenden pädagogischen Gutachten vom 09.03.20xx folgendes ausgeführt:

"[Die Klägerin] benötigt für die gesamte Dauer ihres Schultages eine weibliche Integrationshelferin. [ ] Es muss eine kontinuierliche und flexible Zuwendung (8:00 bis 16:00 Uhr) durch eine Integrationshelferin stattfinden, die folgende Aufgaben zuverlässig übernimmt, damit ein reibungsloser Unterrichtsverlauf gewährleistet werden kann:

- Gemeinsames Verlassen des Klassenraumes, zwecks Entleerung des Ileum-Conduit Beutels (ca. stündlich); schriftliche Dokumentation über die Zeiten, - Verabreichung der Medizin (3 x täglich: 10:00/13:00/16:00 Uhr); ebenfalls schriftliche Dokumentation, - Übernahme von Verantwortung, indem sie darauf achtet, dass [die Klägerin] ausreichend viel trinkt (Absprache mit der Mutter notwendig), - Vorzeitige Begleitung zur Turnhalle, damit [die Klägerin] sich in der Kabine alleine umkl...

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