Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren: Zulässige Klageart bei Zurückweisung eines Widerspruchs als unzulässig. Form der gerichtlichen Entscheidung bei Aufhebung eines wegen Unzulässigkeit des Widerspruchs ergangenem Widerspruchsbescheids. Beweislast zum Zugang eines Sozialverwaltungsaktes
Orientierungssatz
1. Hat eine Sozialbehörde einen Widerspruch gegen einen Sozialverwaltungsakt als unzulässig zurückgewiesen, ist dagegen nur eine kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage zulässig, die auf eine Aufhebung des Widerspruchsbescheides und Zurückverweisung der Sache an die Behörde zur erneuten Entscheidung über den Widerspruch zu richten ist. Eine materiell-rechtliche Prüfung und Entscheidung ist dagegen nicht zulässig.
2. Bestreitet der Adressat eines Sozialverwaltungsaktes den Zugang des Schreibens, so genügt ein einfaches Bestreiten, um die Behörde zu einem Zugangsnachweis im Rahmen ihrer Beweispflicht zu zwingen. Dabei hat die Behörde den Nachweis des Zugangs im Vollbeweis zu erbringen, sodass für das Gericht der Zugang mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststehen muss. Allein ein Postausgangsvermerk kann dabei für sich genommen einen solchen Vollbeweis noch nicht begründen.
3. Wurde ein Widerspruch durch Widerspruchsbescheid als unzulässig zurückgewiesen, kann das Gericht im sozialgerichtlichen Verfahren über den Widerspruchsbescheid den Widerspruchsbescheid durch Endurteil aufheben und die Widerspruchsbehörde zur erneuten Entscheidung verpflichten. Dagegen ist eine Aufhebung der Widerspruchsentscheidung durch Teilurteil unter Fortsetzung des Verfahrens bei Neubescheidung nicht geboten.
Tenor
Der Widerspruchsbescheid vom 10.02.2017 wird insoweit aufgehoben, wie die Widersprüche der beiden Kläger gegen den endgültigen Festsetzungsbescheid vom 20.05.2016 und der Widerspruch der Klägerin zu 1) gegen den Erstattungsbescheid vom 20.05.2016 als unzulässig zurückgewiesen werden.
Der Beklagte wird verpflichtet den Widerspruch der beiden Kläger vom 05.01.2017 gegen den Festsetzungsbescheid vom 20.05.2016 sowie den Widerspruch der Klägerin zu 1) gegen ihren Erstattungsbescheid vom 20.05.2016 in der Sache zu bescheiden.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Kläger zu 2/3.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Zulässigkeit eines Widerspruches.
Die am 06.01.1994 geborene Klägerin zu 1) und der am 24.10.1988 geborene Kläger zu 2) sind miteinander verheiratete bulgarische Staatsangehörige. Sie leben mit den gemeinsamen Kindern D. (geboren: 01.12.2012) und J. (geboren: 16.03.2016) in einer Wohnung in D ...
Dem Kläger zu 2) sind durch den Beklagten in der Vergangenheit mit Bescheid vom 02.06.2015 für den Zeitraum vom 20.04.2015 bis zum 31.03.2016 vorläufige Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch [SGB II] bewilligt worden. Mit Änderungsbescheid vom 02.12.2015 bewilligte der Beklagte für den Zeitraum vom 01.09.2015 bis zum 31.03.2016 höhere Leistungen und berücksichtigte bei der Leistungsbewilligung neben beiden Klägern auch die Tochter D ... Mit Änderungsbescheid vom 03.03.2016 wurden die vorläufigen Leistungen der Höhe nach angepasst.
Mit Bescheid vom 20.05.2016 bewilligte der Beklagte der Bedarfsgemeinschaft der Kläger vorläufige Leistungen für den Zeitraum vom 11.04.2016 bis zum 31.03.2017.
Ferner erließ der Beklagte am 20.05.2016 gegenüber den Klägern drei weitere Bescheide, bei denen zwischen den Beteiligten umstritten ist, ob bzw. wann diese den Klägern zugegangen sind. Mit einem Festsetzungsbescheid vom 20.05.2016 setzte der Beklagte die endgültigen Leistungen der Bedarfsgemeinschaftsmitglieder für den Zeitraum vom 01.09.2015 bis zum 31.03.2016 abweichend zu den vorläufigen Bewilligungen fest. Mit einem Erstattungsbescheid vom 20.05.2016 forderte der Beklagte die Klägerin zu 1) zur Rückzahlung ihrer danach insgesamt überzahlten Leistungen in Höhe von 3.216,14 EUR sowie zur Rückzahlung der danach insgesamt überzahlten Leistungen für D. in Höhe von 960,62 EUR auf. Mit einem weiteren Erstattungsbescheid vom 20.05.2016 forderte der Beklagte den Kläger zu 2) zur Rückzahlung von insgesamt überzahlten Leistungen in Höhe von 2.478,15 EUR auf. Die Erstattungsbescheide vom 20.05.2016 enthalten in der Leistungsakte jeweils einen Absendevermerk für den 23.05.2016, der von dem Sachbearbeiter des Beklagten mit vollständigem Namen unterschrieben worden ist.
Mit Schreiben vom 30.06.2016 mahnte der Beklagte gegenüber den Klägern die ausstehende Rückzahlung an.
Am 05.07.2016 sprach der Kläger zu 2) bei dem Beklagten persönlich vor. Nach dem Vorsprachevermerk des Beklagten legte er "ein (Mahn-) Schreiben vor, das dem Schreiben zugrunde liegende Rückforderungsschreiben vom 30.05.16 hat er nicht erhalten, aus Allegro ausgedruckt und ausgehändigt, er wird sich an die Leistungsabteilung z.Klärung wenden."
Mit Mahnschreiben vom 21.12.2016 erinnerte der Beklagte die Kläger erneut an die ausstehenden Rückzahlungen aus den Bescheiden vom 20.05...