Entscheidungsstichwort (Thema)

Anforderungen an ein für einen Unionsbürger bestehendes Aufenthaltsrecht zur Begründung eines Anspruchs auf Leistungen der Grundsicherung

 

Orientierungssatz

1. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach § 73a SGG setzt u. a. eine bestehende Erfolgsaussicht in der Hauptsache voraus.

2. Ein Unionsbürger, der nur ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche besitzt, ist nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB 2 von Leistungen der Grundsicherung ausgeschlossen. Nach § 7 Abs. 1 S. 3 AufenthG kann in begründeten Fällen eine Aufenthaltserlaubnis auch für einen von dem AufenthG nicht ausdrücklich vorgesehenen Aufenthaltszweck erteilt werden.

3. Art. 6 GG vermittelt lediglich einen Abschiebungsschutz, nicht jedoch ein Aufenthaltsrecht. Der Schutz einer bevorstehenden Familiengründung, welcher ausnahmsweise ein Aufenthaltsrecht begründen kann, ist zu verneinen, wenn die Partner im Ausland bereits über mehrere Jahre zusammengelebt haben, ohne dort zu heiraten (BSG Urteil vom 30. 1. 2013, B 4 AS 54/12 R).

 

Nachgehend

BVerfG (Beschluss vom 04.10.2019; Aktenzeichen 1 BvR 1710/18)

 

Tenor

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

 

Gründe

Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe setzt voraus, dass die Klägerin nach den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, das Begehren hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (§§ 73 a Sozialgerichtsgesetz - SGG -, 114 Zivilprozessordnung - ZPO -).

Diese Voraussetzungen liegen nicht vor, weil die Klage keine Aussicht auf Erfolg hat. Denn die Klägerin unterliegt als rumänische Staatsangehörige dem Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 des Zweiten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB II), der nach Ergehen des Urteils des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 15. September 2015 in der Rechtssache C- 67/14 mittlerweile einhellig als europarechtskonform angesehen wird. Zwar hat sich die Klägerin hinsichtlich eines anderen Aufenthaltsrechts als desjenigen der Arbeitssuche namentlich auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 30. Januar 2013 (Az.: B 4 AS 54/12 R) berufen, mit der Begründung, daraus ergebe sich ein weiterer Aufenthaltszweck, der auf den aufenthaltsrechtlichen Vorwirkungen einer bevorstehenden Familiengründung basiere. Ein derartiges (generelles) Aufenthaltsrecht ergibt sich indessen nicht aus der vorzitierten Rechtsprechung. Diese betrifft vielmehr den Ausnahmefall "der Vorwirkungen einer bevorstehenden Familiengründung" aufgrund einer Schwangerschaft. Zwar führt diese Rechtsprechung zu einem auf § 7 Abs. 1 S. 3 AufenthG gestützten Aufenthaltsrecht aus familiären Gründen, welches aus dem Zusammenleben der Partner mit einem gemeinsamen Kind und dem Kind eines Partners folgt, weil diese Personen sich unter anderem auf Art. 6 GG und §§ 27 ff. AufenthG (über den Familiennachzug) berufen können. Diese Voraussetzungen hat das BSG mit dem genannten Urteil vom 30. Januar 2013 allerdings allein für einen speziellen Sachverhalt bejaht und war zu dem Ergebnis gelangt, dass es einer Schwangeren 4 Monate vor dem errechneten Geburtstermin nicht zumutbar gewesen sei, sich von dem Vater des Kindes, einem griechischen Staatsangehörigen, der sich seit 8 Jahren rechtmäßig in Deutschland aufgehalten hatte, unter zumindest vorübergehender Aufgabe des familiären Rückhalts zu trennen. Dabei ist von maßgeblicher Bedeutung, dass es sich bei der Vorschrift des § 7 Abs. 1 S. 3 AufenthG um eine Ermessensregelung handelt. Danach kann in begründeten Fällen eine Aufenthaltserlaubnis auch für einen von dem Aufenthaltsgesetz nicht (ausdrücklich) vorgesehenen Aufenthaltszweck erteilt werden. Hierzu ist das BSG im Hinblick auf den von ihm entschiedenen Einzelfall zu dem Ergebnis gelangt, dass Gründe für eine aufenthaltsrechtliche Ermessensreduzierung auf null vorgelegen hatten. Liegen aber solche Ausnahmegründe nicht vor, so vermittelt Art. 6 GG allein lediglich einen Abschiebungsschutz, nicht jedoch ein Aufenthaltsrecht. Die Grenzen dieser einzelfallbezogenen Rechtsprechung hat das BSG mit seiner weiteren Rechtsprechung ausdrücklich bestätigt (vgl. z.B. Urteil vom 16. Dezember 2015, Az.: B 14 AS 15/14 R; vgl. Rn. 4, 31,32).

Im Falle der Klägerin ist eine Sachverhaltskonstellation, die die Annahme einer aufenthaltsrechtlichen Ermessensreduzierung auf null im Rahmen des § 7 Abs. 1 S. 3 AufenthG rechtfertigen könnte, nicht ersichtlich. Denn die Klägerin war zu dem hier maßgeblichen Zeitpunkt der Antragstellung am 27. Juli 2017 nicht (mehr) schwanger, da das Kind C. bereits am xx. Juli 2017 geboren war. Insbesondere aber kann hier zur Überzeugung des Gerichts nicht davon die Rede sein, dass eine Familiengründung im Sinne der vorgenannten Rechtsprechung des BSG vom 30. Januar 2013 “bevorgestanden“ hatte. Denn die Klägerin war überhaupt erst 2 Monate vor Antragstellung mit ihrem Lebenspartner und 2 weiteren gemeinsamen Kindern in die Bundesrepublik Deutschland und f...

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