Entscheidungsstichwort (Thema)

Einstweiliger Rechtsschutz. vorläufige Leistungen im Rahmen der Folgenabwägung. Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für Ausländer bei Aufenthalt zur Arbeitsuche. Unionsbürger. Leistungsausschluss bei abgeleitetem Aufenthaltsrecht als sorgerechtsausübender Elternteil von Kindern in Schulausbildung. Europarechtswidrigkeit

 

Orientierungssatz

Kann sich eine Unionsbürgerin allein auf ein in zweifacher Hinsicht aus Art 10 EUV 492/2011 abgeleitetes Aufenthaltsrecht als die elterliche Sorge wahrnehmendes und nicht erwerbstätiges Elternteil berufen (jedoch Erwerbstätigkeit des Partners, sprich Vater des Kindes), so greift zwar der Leistungsausschluss gemäß § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 Buchst c SGB 2. Da die Europarechtskonformität dieser Regelung aber derart umstritten ist, dass sie in der Rechtsprechung sogar als europarechtswidrig eingestuft wird (vgl LSG Essen vom 4.2.2019 - L 19 AS 1104/18), sind im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes im Rahmen der Folgenabwägung vorläufig existenzsichernde Grundsicherungsleistungen zuzusprechen.

 

Tenor

Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft mit ihrem Lebenspartner, Herrn C. C., und den gemeinsamen Kindern D. und E. C. vorläufig für den Zeitraum vom 4. April 2019 bis 30. September 2019 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II in gesetzlich vorgesehenem Umfang zu gewähren.

Der Antragsgegner hat der Antragstellerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Der Antragstellerin wird unter Beiordnung von Frau Rechtsanwälte B., A-Stadt, Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung mit Wirkung seit 4. April 2019 gewährt.

 

Gründe

I

Die Antragstellerin begehrt mit ihrem beim hiesigen Sozialgerichts am 4. April 2019 eingegangenen Antrag, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB II) in gesetzlich vorgesehenem Umfang zu gewähren.

Die Antragstellerin ist rumänische Staatsangehörige und lebt in Haushaltsgemeinschaft mit ihrem Lebenspartner, Herrn C. C., sowie den gemeinsamen Kindern D. C. (geb. 2012) und E. (geb. 2016).

Der Lebenspartner der Antragstellerin war seit 1. August 2017 bei der Firma F. Transportunternehmen als Fahrer (in Teilzeit) beschäftigt und erzielte ein monatliches Entgelt in Höhe von brutto 810,92 €/netto 650 €. Dieses Beschäftigungsverhältnis kündigte der Arbeitgeber zum 15. November 2018 "aus wirtschaftlichen Gründen"

Nachdem der Antragsgegner durch Bescheid vom 6. Juli 2018 die Antragstellerin noch als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft ihres Lebenspartners und deren gemeinsamer Kinder für den Leistungszeitraum vom 3. April 2018 bis 30. September 2018 berücksichtigt hatte, bewilligte er die SGB II-Leistungen für den Zeitraum vom 1. November 2018 bis 14. April 2019 durch Bescheid vom 27. November 2018 in Gestalt der Bescheide vom 13. Dezember 2018, 20. Dezember 2018 und 16. Januar 2019 ohne die Antragstellerin in die Bedarfsgemeinschaft der vorgenannten Personen einzubeziehen.

Am 15. Januar 2019 stellte der Lebenspartner der Antragstellerin bei dem Antragsgegner einen Antrag auf Überprüfung des vorgenannten Bescheides und berief sich darauf, dass sich die Antragstellerin um die beiden gemeinsamen Kinder kümmere. Er sei über ein Jahr beschäftigt gewesen und werde ab Februar (2019) eine neue Arbeitsstelle haben. Seit Oktober 2018 sei die Antragstellerin nicht mehr krankenversichert.

Aktenkundig ist ein Arbeitsvertrag des Lebenspartners der Antragstellerin mit der Firma G. Logistik GmbH vom 1. Juni 2018 mit einem Beginn des Beschäftigungsverhältnisses als Kraftfahrer der Klasse C/CE zum 1. Februar 2019 in Teilzeit mit 20 Wochenstunden (Bruttostundenlohn: 9 €).

Durch Bescheid vom 22. Januar 2019 lehnte der Antragsgegner die Abänderung des Bescheides vom 27. November 2018 in Gestalt der Bescheide vom 13. Dezember 2018 (vgl. oben) ab und führte in der Begründung aus, die Antragstellerin sei von Leistungen nach dem SGB II gemäß § 7 Absatz 1 S. 2 Nr. 2 Buchst. b) und c) ausgeschlossen. Für diese komme einzig ein Aufenthaltsrecht als Familienangehörige eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers in Betracht, wobei Familienangehörige i.S. des Freizügigkeitsgesetzes/EU (FreizügG/EU) nach § 3 Abs. 2 des genannten Gesetzes nur Ehegatten, Lebenspartner nach dem Lebenspartnerschaftsgesetz sowie Verwandte in gerader Linie seien. Zwar könne sie von ihren Kindern ein Aufenthaltsrecht ableiten, jedoch nur dann, wenn sie den insoweit in Betracht kommenden freizügigkeitsberechtigten Personen, folglich den gemeinsamen Kindern, Unterhalt gewähre. Somit bestehe bei der Antragstellerin lediglich ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitssuche sowie ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht als Elternteil freizügigkeitsberechtigter Kinder aus Art. 10 der Verordnung (EU) 492/2011.

Den Widerspruch der Antragstellerin vom 19. Februar 2019 wie...

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