Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Hilfsmittelversorgung. Versorgung einer Versicherten mit Echthaarersatz. Erfüllung der Leistungspflicht mit Übernahme des vertraglich vereinbarten Preises
Leitsatz (amtlich)
Zur Frage, ob die Krankenkasse mit der Übernahme der vertraglich vereinbarten Preise (§ 33 Abs 7 SGB V) ihre Leistungspflicht erfüllt.
Orientierungssatz
Az beim LSG Darmstadt: L 8 KR 31/20.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Erstattung von Kosten für Echthaarersatz (Tritec Haarintegration) in Höhe von EUR 1.064,89.
Unter Vorlage einer hautärztlichen Verordnung vom 5. September 2016 und eines Kostenvoranschlages des Salon C. C-Stadt vom 7. September 2016 über EUR 2.390,00 beantragte die bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherte Klägerin die Kostenübernahme für Echthaarersatz bei endgültigem Haarverlust. Mit Schreiben vom 8. September 2016 bat die Beklagte die Klägerin um Vorlage einer Verschleißbescheinigung für die bisherige Perücke. Mit Bescheid vom 15. September 2016, dem keine Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt war, bewilligte die Beklagte den für Haarersatz vereinbarten Vertragspreis von EUR 905,11 und lehnte eine darüber hinaus gehende Kostenbeteiligung ab. Am 1. November 2016 erwarb die Klägerin im Salon C. in A-Stadt eine Tritec Haarintegration inklusive Einschnitt für insgesamt EUR 1.980,00.
Am 8. Dezember 2016 erhob die Klägerin Widerspruch und führte aus, sie habe Anspruch auf Erstattung der vollen Kosten für die Haarintegration (EUR 1.980,00 abzüglich bewilligter EUR 905,11 und EUR 10,00 Zuzahlung). Die konkrete Ausprägung des Haarausfalls gestatte das Tragen einer normalen Perücke nicht. Die Versorgung mit einem Standardhaarsystem würde einem unbefangenen Dritten sofort auffallen. Das vorhandene Resthaar schließe die Versorgung mit einem Standardhaarsystem aus. Mit Widerspruchsbescheid vom 16. Juni 2017 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Zur Begründung führte die Beklagte aus, ein totaler oder teilweiser Haarverlust stelle bei einer Frau eine Behinderung dar. Er könne eine entstellende Wirkung haben. Der Behinderungsausgleich umfasse jedoch nur die Versorgung, die notwendig sei, den Verlust des natürlichen Haupthaares für einen unbefangenen Beobachter nicht sogleich erkennbar werden zu lassen (Bundessozialgericht - BSG, Urteil vom 23. Juli 2003, B 3 KR 66/01 R). Haarersatzteile in Form von Perücken, Toupets, Teilbereichsperücken aus Kunsthaar oder Echthaar stellten die geeignete, notwendige und wirtschaftliche Versorgung dar. Dafür trage die Krankenkasse gemäß § 33 Abs. 7 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) die jeweils vereinbarten Preise, was die Beklagte - auch in der Vergangenheit - getan habe. Zudem stelle Hairweaving (Haarverdichtung, Haarverwebung) keine Leistung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) dar.
Am 13. Juli 2017 hat die Klägerin Klage erhoben, da sie ihrer Ansicht nach Anspruch auf eine Versorgung über den Vertragspreis hinaus habe. Hairweaving stelle eine besondere Ausprägung des Hilfsmittels Zweithaar dar. Unter Vorlage einer Bescheinigung der Hautärztin D. vom 29. August 2017 trägt die Klägerin vor, ihre Kopfhaut sei an mehreren Stellen dauerhaft entzündet (Seborrhoisches Ekzem). Die Entzündungsstellen seien teilweise offen, so dass die Klägerin kein Gesamthaarsystem tragen könne.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 15. September 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Juni 2017 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Kosten für Haarersatz in Höhe von EUR 1.064,89 zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte bezieht sich auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide und trägt darüber hinaus vor, der Vertragspreis in Höhe von EUR 905,11 gelte für eine Perückenversorgung mit Echthaar oder Kunsthaar und sei mit dem Bundesverband der Zweithaarspezialisten (BVZ) vereinbart worden. Ihrer Ansicht nach sei mit der Zahlung des Vertragspreises die Leistungspflicht nach § 33 Abs. 7 SGB V erfüllt.
Das Gericht hat Beweis erhoben und ein Gutachten bei Herrn E., Meister des Friseurhandwerks, eingeholt. Zum Begutachtungstermin am 27. März 2018 erschien die Klägerin mit einer selbst angeschafften Kunsthaarperücke. Der Gutachter stellte im Oberkopfbereich der Klägerin eine nur spärliche Behaarung bei einer Haarlänge von ca. 3 cm fest. Irritationen der Kopfhaut stellte er nicht fest. Der jetzige Zustand der Kopfbehaarung spreche nach Ansicht des Gutachters mangels Haarfülle gegen die Verwendung der (mitgebrachten) Tritec Haarintegration. Es verbleibe nur die Möglichkeit der Versorgung mittels eines Standardhaarersatzteils in Form einer Perücke. Der Zustand der Kopfbehaarung spreche grundsätzlich nicht gegen die Verwendung einer Kunsthaarperücke (ohne Tressen). Allerdings sei die von der Klägerin verwendete Kunsthaarperücke unzureichend. Sie könne bei dauerhafter Verwendung und bereits bei ...