Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für Ausländer ohne Aufenthaltsrecht oder bei Aufenthalt zur Arbeitsuche. Unionsbürger. Aufenthaltsrecht aus familiären Gründen. Anwendbarkeit des § 28 Abs 1 S 1 Nr 3 AufenthG 2004 auch auf den sorgeberechtigten Elternteil eines freizügigkeitsberechtigten minderjährigen Unionsbürgers. Diskriminierungsverbot. Schutz der Familie. Verhinderung einer Familientrennung

 

Orientierungssatz

Die Vorschrift des § 28 Abs 1 S 1 Nr 3 AufenthG 2004 findet aufgrund des in Art 18 Abs 1 AEUV statuierten Verbots der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit auch auf minderjährige Unionsbürger, die über ein Aufenthaltsrecht nach dem FreizügG/EU 2004 verfügen, und ihre Eltern Anwendung.

 

Tenor

Der Beklagte wird verurteilt, unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 25.11.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.10.2020, der Klägerin für den Zeitraum 01.05.2019 - 31.05.2019 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zu gewähren.

Der Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.

Die Berufung wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II).

Die 1989 geborene Klägerin ist rumänische Staatsangehörige und lebte im hier streitgegenständlichen Zeitraum in Bedarfsgemeinschaft mit ihrem Lebensgefährten C. M. und dem 2016 geborenen gemeinsamen Kind E. M., die ebenfalls rumänische Staatsangehörige sind.

Auf den Weiterbewilligungsantrag vom 18.04.2019, bewilligte der Beklagte der Bedarfsgemeinschaft der Klägerin mit Bescheid vom 25.11.2019 abschließend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes für die Zeit vom 01.05.2019 bis zum 31.10.2019, wobei für den Monat Mai 2019 nur dem Lebensgefährten und dem gemeinsamen Kind Leistungen i.H.v. 273 € (Regelbedarf i.H.v. 273 € unter Berücksichtigung von Einkommen aus Erwerbstätigkeit i.H.v. 300 € brutto und Kindergeld i.H.v. 194 €) bewilligt wurden, nicht jedoch der Klägerin. Für die Klägerin wurden Leistungen erst ab dem 01.06.2019 bis 31.10.2019 bewilligt. Ab dem 17.06.2019 war die Klägerin bei der Firma K. GmbH beschäftigt (monatlicher Lohn von 630,43 € brutto).

Den am 16.12.2019 eingelegten Widerspruch der Klägerin wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 20.10.2020 zurück. Die Klägerin sei nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II ausgeschlossen, da sie ihr Aufenthaltsrecht nur zur Arbeitssuche herleiten könne. Im Monat Mai 2019 habe die Klägerin weder eine abhängige noch eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausgeübt und sei auch nicht daueraufenthaltsberechtigt gewesen. Die Klägerin sei mit ihrem als Arbeitnehmer freizügigkeitsberechtigten Lebenspartner C. M. nicht verheiratet, so dass sie auch kein Aufenthaltsrecht als Familienangehörige von diesem herleiten könne.

Am 26.11.2020 hat die Klägerin Klage erhoben. Die Klägerin ist der Auffassung, dass ihr ein Aufenthaltsrecht aus familiären Gründen zustehen würde, da sie das Sorgerecht für das gemeinsame Kind ausübe. Unter Beachtung der Wertungen des Art. 6 Grundgesetz (GG) und Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) sei der Klägerin eine Ausreise aus Deutschland und eine damit verbundene Trennung von ihrer Familie unzumutbar. Die Trennung minderjähriger Kinder von sorgeberechtigten Eltern sei mit Art. 6 GG und Art. 8 EMRK unvereinbar.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 25.11.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.10.2020 zu verpflichten, der Klägerin für Mai 2019 Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung nimmt der Beklagte Bezug auf die Ausführungen des Widerspruchsbescheides vom 25.11.2020.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet.

Der Bescheid des Beklagten vom 25.11.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.10.2020 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, soweit ihr Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II für den Monat Mai 2019 versagt wurden.

Die Klägerin hat einen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes für den Monat Mai 2019.

Gemäß § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II i.V.m. § 19 Abs. 1 S. 1 SGB II erhalten Leistungen nach dem SGB II Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben (Nr. 1), erwerbsfähig sind (Nr. 2), hilfebedürftig sind (Nr. 3) und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte) (Nr. 4) soweit sie nicht nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgenommen sind.

Die Klägerin hat das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht. Sie ist erwerbsfähig, hilfebedürftig und hat ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland.

Die Klägerin i...

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