Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Berechnung des Krankengeldes. freiwillig versicherter hauptberuflich Selbstständiger. Ermittlung des Arbeitseinkommens. Widerlegbarkeit der Vermutung nach § 47 Abs 4 S 2 SGB 5 nur bis zur Entscheidung der Krankenkasse. keine nachträgliche Neuberechnung

 

Orientierungssatz

1. Bei freiwillig versicherten hauptberuflich Selbstständigen ist das Krankengeld nach § 47 Abs 4 S 2 SGB 5 nur im Sinne einer widerlegbaren Vermutung nach dem Regelentgelt zu berechnen, das dem Betrag entspricht, aus dem zuletzt vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit Beiträge entrichtet worden sind. Die Vermutung kann demnach widerlegt werden, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass dieses Einkommen erkennbar nicht der tatsächlichen wirtschaftlichen Situation des Versicherten vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit entspricht (vgl BSG vom 6.11.2008 - B 1 KR 28/07 = SozR 4-2500 § 47 Nr 10).

2. Widerlegbar ist die Vermutung des § 47 Abs 4 S 2 SGB 5 nur bis zur Entscheidung der Krankenkasse über das Krankengeld. Danach ist die Festsetzung als endgültig anzusehen.

 

Tenor

Der Bescheid der Beklagten vom 3. Mai 2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. November 2022 wird aufgehoben und die Beklagte verurteilt, das der Klägerin ab 21. Februar 2022 zustehende Krankengeld auf Basis des Einkommenssteuerbescheids vom Jahr 2020 zu berechnen und an die Klägerin abzüglich des bereits gezahlten Krankengeldes zu zahlen.

Die Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Höhe des der Klägerin gewährten Krankengeldes.

Die Klägerin ist 1985 geboren und seit dem 1. Januar 2018 als Selbstständige freiwillig bei der Beklagten mit Anspruch auf Krankengeld versichert.

Mit Beitragsbescheid vom 26. Januar 2022 wurden die Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge der Klägerin für die Zeit ab dem 1. April 2021 vorläufig unter Zugrundelegung des zu diesem Zeitpunkt vorliegenden Einkommenssteuerbescheides für das Jahr 2019 auf der Grundlage eines zu berücksichtigen Einkommens aus der selbstständigen Tätigkeit und aus der Vermietung und Verpachtung in Höhe von insgesamt 2.020,50 Euro berechnet. Das Arbeitseinkommen aus der selbstständigen Tätigkeit wurde mit 1.927,42 Euro berücksichtigt.

Am 13. Januar 2022 stellte der behandelnde Arzt der Klägerin bei ihr eine bestehende Arbeitsunfähigkeit rückwirkend ab dem 10. Januar 2022 fest.

Die Klägerin reichte den Steuerbescheid für das Jahr 2020, ausgestellt am 17. März 2020, am 14. April 2022 bei der Beklagten ein.

Mit Bescheid vom 3. Mai 2022 gewährte die Beklagte der Klägerin Krankengeld ab dem 21. Februar 2022. Die Beklagte berechnete das kalendertägliche Krankengeld aus einem entfallenen Arbeitseinkommen in Höhe von 1.927,42 Euro. Im Bescheid vom 3. Mai 2022 setzte die Beklagte die Krankengeldhöhe ab dem 21. Februar 2022 mit kalendertäglich 44,98 EUR brutto sowie 47,58 Euro netto fest.

Die Klägerin legte gegen den Bescheid am 13. Mai 2022 Widerspruch ein. Zur Begründung führte sie an, dass die Berechnung des Krankengeldes auf Grundlage des Steuerbescheides 2019 seitens der Beklagten nicht korrekt erfolgt sei. Der Steuerbescheid 2020 habe der Beklagten vorgelegen und sei bei der Beitragsberechnung berücksichtigt worden, insoweit müsse auch das Krankengeld aus diesem höheren Entgelt berechnet werden. Im Jahr 2020 habe ihr Einkommen 43.493,00 Euro betragen und sei damit deutlich höher gewesen als im Jahr 2019.

Nachdem die Klägerin den Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 2020 (ausgestellt am 17. März 2020) bei der Beklagten eingereicht hatte, berechnete diese mit dem Beitragsbescheid vom 14. Mai 2022 die Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge der Klägerin für das Jahr 2020 endgültig.

Mit Widerspruchsbescheid vom 22. November 2022 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Der Einkommenssteuerbescheid des Jahres 2020 wirke sich nicht auf das zuletzt vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit für die Beitragsbemessung maßgeblich Arbeitseinkommen aus. Zuletzt sei das Einkommen aus dem Jahr 2019 für die Beitragsbemessung herangezogen worden, dieses sei daher auch für das Krankengeld maßgeblich.

Die Klägerin hat, anwaltlich vertreten, am 22. Dezember 2022 Klage erhoben.

Zur Begründung wiederholt sie ihr Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 3. Mai 2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. November 2022 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin das Krankengeld auf Grundlage des Steuerbescheids 2020 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verweist zur Begründung auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden.

Die Klägerin hat sich mit Schriftsatz vom 19. Juli 2023, die Beklagte mit Schriftsatz vom 19. Juni 2023 mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf di...

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