Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende: Kostenerstattung wegen schuldhaft sozialwidrigen Verhaltens. Zurechnung eines Untersuchungsgefangenen zu einer Bedarfsgemeinschaft
Orientierungssatz
1. Während der Dauer einer Untersuchungshaft besteht keine Bedarfsgemeinschaft des Inhaftierten mit seinen Angehörigen, so dass eine Erstattungspflicht der Angehörigen für von diesen bezogene Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende gemäß § 34 Abs. 2 SGB 2 wegen Herbeiführung der Bedürftigkeit durch sozialwidriges Verhalten nicht in Betracht kommt.
2. Eine Straftat stellt ein sozialwidriges Verhalten dar, so dass eine durch die Ahndung der Tat eingetretene Bedürftigkeit und ein daraus resultierender Grundsicherungsanspruch zu einer Ersatzpflicht gemäß § 34 Abs. 2 SGB 2 führt. Dabei kommt es nicht darauf an, wann das sozialwidrige Verhalten stattgefunden hat, solange seine Folgen andauern.
Nachgehend
Tenor
1. Der Bescheid vom 14.04.2005 in Gestalt des Bescheides vom 23.03.2006 und des Widerspruchsbescheides vom 15.05.2007 wird aufgehoben, soweit er den Zeitraum 15.02. - 17.03.2005 betrifft. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Der Beklagte hat dem Kläger vier Fünftel der notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
3. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über Kostenersatz nach § 34 des Zweiten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB 2) für einen Leistungszeitraum im Jahre 2005.
Der 1973 geborene Kläger heiratete 1996 seine Ehefrau C. Am 10.03.2004 wurde das gemeinsame Kind Z geboren.
Am 15.07.2003 beging der Kläger eine Straftat (Vergewaltigung in Tateinheit mit räuberischer Erpressung und vorsätzlicher Körperverletzung).
Am 23.08.2004 erließ das Amtsgericht Frankfurt am Main gegen den Kläger einen Haftbefehl. Am 18.10.2004 verurteilte ihn das Amtsgericht Frankfurt am Main zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren auf Bewährung. Der Haftbefehl vom 23.08.2004 wurde aufgehoben und dem Kläger u.a. aufgegeben, Kontakt zur Geschädigten aufzunehmen. Gegen Urteil vom 18.10.2004 legte der Kläger Berufung ein. Am 28.12.2004 erließ das Amtsgericht Frankfurt am Main gegen den Kläger erneut einen Haftbefehl.
Am 17.01.2005 wurde daraufhin der Kläger festgenommen. Zu diesem Zeitpunkt war der Kläger bei der Firma XY beschäftigt. Der Kläger wurde aus der Untersuchungshaft am 18.03.2005 entlassen und kehrte zu seiner Familie zurück.
Die Ehefrau des Klägers, C, beantragte am 15.02.2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB 2. Zur Antragsbegründung gab sie an, dass sich ihr Ehemann in Untersuchungshaft befinde und sein Arbeitsverhältnis zum 24.01.2005 gekündigt worden sei.
Durch Bescheid vom 09.03.2005 bewilligte der Beklagte der Ehefrau und dem Kind des Klägers laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes für die Zeit ab 15.02.2005 bis zunächst 31.03.2005. Durch Bescheid vom 14.04.2005 bewilligte der Beklagte weitere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes ab 01.04.2005.
Durch Bescheid vom 31. März 2005 verhängte die Agentur für Arbeit Frankfurt am Main gegen den Kläger eine Sperrzeit nach den §§ 144, 128 SGB 3 für die Zeit vom 26.01.2005 bis 19.04.2005, mit der Folge, dass die Agentur für Arbeit Arbeitslosengeld I mit Bescheid vom 01.04.2005 erst ab 20.04.2005 bewilligte.
Durch Bescheid vom 14.04.2005 forderte der Beklagte von dem Kläger Kostenersatz nach § 34 SGB 2 für die im Zeitraum 15.02.2005 bis 19.04.2005 geleisteten Hilfezahlungen in Höhe von insgesamt 2.595,45 €. Zur Begründung führte er aus, dass der Kläger seine Arbeitsstelle bei der Firma XY wegen unentschuldigten Fehlens verloren habe. Da er bereits zuvor eine Abmahnung erhalten hatte, hätte er voraussehen müssen, dass ihm aufgrund dieses Verhaltens gekündigt und er somit arbeitslos werde. Die Verhängung der Sperrzeit durch die Arbeitsagentur sei allein seinem Fehlverhalten zuzuschreiben, damit sei er zum Kostenersatz nach § 34 SGB 2 verpflichtet.
Gegen diesen Bescheid legte der Kläger mit Schreiben vom 27.04.2005 Widerspruch ein und beantragte die Aussetzung der Vollziehung. Zur Begründung seines Widerspruches verwies er auf ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes vom 10.03.2003, Az.: 5 C 4/02. Aus diesem Urteil ergebe sich, dass nicht er oder eine auf ihn begründete Bedarfsgemeinschaft hilfebedürftig geworden sei, sondern dass eine ganz neue Bedarfsgemeinschaft mit seiner Ehefrau als Arbeitsloser entstanden sei. Somit sei die Voraussetzung des § 34 SGB 2, dass der Kläger selbst oder die mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen durch sein Verhalten hilfebedürftig geworden seien, nicht erfüllt.
Mit Schreiben vom 24.05.2005 teilte er dann weiter mit, dass er am 17.10.2005 an seinem Arbeitsplatz festgenommen worden und bis 18.03.2005 in Untersuchungshaft war, so dass er in dieser Zeit nicht arbeiten konnte. Daher habe ihm sein Arbeitgeber gekündigt und das Arbeitsamt habe die Sperrzeit verhängt. Weiter teilte er mit,...