Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Versicherungspflicht. ehemaliger Strafgefangener. Merkmal "zuletzt" in § 5 Abs 1 Nr 13 SGB 5. örtlich zuständiges Sozialgericht bei unbekanntem Wohnsitz und Aufenthaltsort
Leitsatz (amtlich)
Das Merkmal "zuletzt" in § 5 Abs 1 Nr 13 SGB 5 ist allein auf eine zuletzt bestehende Versicherung in der gesetzlichen oder privaten Krankenversicherung nicht aber auf die zuletzt bestehende Absicherung im Krankheitsfall zu beziehen.
Orientierungssatz
Die Regelung des § 16 ZPO ist bei der Entscheidung über das örtlich zuständige Gericht insoweit entsprechend anzuwenden, als auf den letzten Wohnsitz des klagenden Versicherten abzustellen ist, wenn der gegenwärtige Wohnsitz und Aufenthaltsort nicht bekannt sind (vgl BSG vom 2.4.2009 - B 12 SF 8/08 S).
Tenor
1. Der Bescheid vom 25.3.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.6.2009 wird aufgehoben. Es wird festgestellt, dass der Kläger seit 4.12.2008 pflichtversichertes Mitglied der Beklagte ist.
2. Die Beklagt trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Versicherungspflicht des Kläger in der gesetzlichen Krankenversicherung als nicht anderweitig Versicherter.
Der 1963 geborene Kläger beantragte am 20.03.2009 die Feststellung seiner Versicherungspflicht bei der beklagten Allgemeinen Ortskrankenkasse. Er befand sich in diesem Zeitpunkt in einer therapeutischen Einrichtung zur stationären Behandlung von Abhängigkeitserkrankungen (Therapiezentrum B.). Seit Oktober 2004 bezieht er eine Rente wegen voller Erwerbsminderung in Höhe von 244,- € monatlich. Ein Krankenversicherungsverhältnis mit einer anderen Krankenkasse oder privaten Krankenversicherung besteht nicht.
Der Kläger war zuletzt vom 20.06.2006 bis 09.08.2006 als Teilnehmer einer berufsfördernden Maßnahme des Rentenversicherungsträgers bei der Beklagten pflichtversichert. Ab 10.08.2006 bezog er Sozialhilfe. Leistungsträger war die Stadt Stuttgart. Die Krankenbehandlung wurde gegen Kostenerstattung durch die Beklagte übernommen. Vom 03.03.2008 bis 03.12.2008 befand sich der Kläger in Haft mit Anspruch auf Krankenbehandlung nach dem Strafvollzugsgesetz. Nach der Entlassung wurde die Krankenbehandlung wiederum auf Kosten des Sozialhilfeträgers durch die Beklagte übernommen. Ab 07.03.2009 meldete der Sozialhilfeträger den Kläger aus der Übernahme der Krankenbehandlung ab (Schreiben vom 18.03.2009). Gleichzeitig vertrat er die Auffassung, dass der Kläger seit der Haftentlassung zum Kreis der Pflichtversicherten gehöre.
Mit Bescheid vom 25.03.2009 lehnte die Beklagte die Feststellung der Versicherungspflicht ab. Zur Begründung führte sie aus, dass die entsprechenden Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Der Kläger sei zuletzt während der Inhaftierung über die freie Heilfürsorge versichert gewesen. Hierbei habe es sich nicht um eine gesetzliche Versicherung gehandelt. Der Kläger erhob Widerspruch, zu dessen Begründung er ausführte, dass derzeit keine Krankenversicherung bestehe. Die freie Heilfürsorge während der Haft könne nicht als solche angesehen werden. Er legte ein Schreiben der Stadt Stuttgart vor, in dem diese bestätigte, dass er seit Beginn der Haft keine laufenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts mehr beziehe. Während der Therapie sei sein Lebensunterhalt durch die Erwerbsminderungsrente ausreichend gedeckt. Sie habe ihn nur versehentlich erst im März 2009 abgemeldet, die Abmeldung sei aber zum 3.3.2008 erfolgt (Tag der Inhaftierung).
Der Kläger hat am 07.04.2009 die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes beantragt. Mit Beschluss vom 5.5.2009 verurteilte das Gericht die Beklagte vorläufig zur Erbringung von Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung, weil der Kläger nach summarischer Prüfung des Sachverhalts wahrscheinlich bei der Beklagten pflichtversichert sei (S 14 KR 1754/09 ER).
Mit Widerspruchsbescheid vom 16.6.2009 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Der Kläger sei nicht zuletzt gesetzlich krankenversichert gewesen. Vielmehr habe zuletzt ein Anspruch auf Heilfürsorge nach dem Strafvollzugsgesetz bestanden. Selbst wenn man diesen Anspruch nicht als anderweitige Absicherung im Krankheitsfall bezeichnen wolle, wäre der Kläger jedenfalls nicht zuletzt gesetzlich krankenversichert gewesen. Unmittelbar vor der Inhaftierung sei er auch nicht in der gesetzlichen Krankenversicherung gewesen, vielmehr liege die letzte Versicherung bei der Beklagten bereits mehr als 19 Monate zurück. Insofern liege der Fall auch anders als im vom Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) entschiedenen Fall ( Beschl.v.25.2.2009 - L 11 KR 497/09 ER-B ). Es sei vielmehr dem SG Aachen ( Beschl.v.31.3.2008 - S 20 SO 25/08 ER ) und dem SG Nürnberg ( Urt.v.10.9.2008 - S 7 KR 530/07 ) zu folgen, die jeweils die freie Heilfürsorge als anderweitige Absicherung im Krankheitsfall angesehen hätten.
Am 14.7.2009 hat der Kläger Klage erhoben, zu deren Begründung er im Wesentlichen seinen Vortrag aus dem Widerspruchsverfahren ...