Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosengeld II. Kürzung der Regelleistung wegen kostenloser Verpflegung während eines Krankenhausaufenthalts. Rücknahme des rechtwidrigen Verwaltungsakts im Zugunstenverfahren für die Vergangenheit. keine Beschränkung auf den Zeitpunkt ab Bestehen einer anderen Auslegung einer Rechtsnorm durch ständige Rechtsprechung des BSG. fehlende Rechtsgrundlage bis zum 1.1.2008

 

Leitsatz (amtlich)

§ 40 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB 2 iVm § 330 Abs 1 SGB 3 steht der Rücknahme einer rechtswidrigen, aber bestandskräftigen Regelleistungskürzung wegen stationärem Aufenthalt im Zugunstenverfahren nach § 44 SGB 10 nicht entgegen.

 

Orientierungssatz

Sofern die Voraussetzungen des § 330 Abs 1 SGB 3 insofern nicht vorliegen, als bis zum 1.1.2008 keine Rechtsnorm existierte, die in ständiger Rechtsprechung durch das BSG anders als durch die Bundesagentur für Arbeit ausgelegt worden wäre, kann auch in § 11 Abs 1 S 1 SGB 2 keine solche Rechtsgrundlage gesehen werden, wenn der belastende Verwaltungsakt nicht auf § 11 SGB 2 gestützt wurde und da eine ständige Rechtsprechung des BSG zur Frage der Einkommensberücksichtigung insofern auch nicht vorliegt.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 21.06.2011; Aktenzeichen B 4 AS 118/10 R)

 

Tenor

1. Der Bescheid der Beklagten vom 05.11.2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 08.12.2008 wird aufgehoben.

2. Die Beklagte wird verurteilt, ihren Bescheid vom 18.05.2006 gem. § 44 SGB X zurückzunehmen und der Klägerin für die Zeit vom 20.02.2006 bis zum 19.05.2006 die volle Regelleistung nach dem SGB II zu gewähren.

3. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.

4. Die Berufung wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Erteilung eines Zugunstenbescheids im Zusammenhang mit Leistungen nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II).

Die Klägerin, geboren am … bezog laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Vom 20.2.2006 bis zum 19.5.2006 befand sie sich in vollstationärer, anschließend noch bis zum 9.6.2006 in teilstationärer Behandlung in einer Klinik. Die Beklagte verfügte daher ihrer damaligen Praxis entsprechend mit Bescheid vom 18.5.2006 einen anteiligen Einbehalt der Regelleistung wegen der häuslichen Verpflegungsersparnis. Diese Bescheide wurden bindend.

Mit Schreiben vom 5.11.2008 beantragte die Klägerin die Überprüfung des Bescheides vom 18.5.2006 gem. § 44 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) und nahm zur Begründung auf ein inzwischen ergangenes Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) Bezug, wonach die Praxis der Kürzung des Regelsatzes wegen Krankenhausaufenthalts zumindest nach der bis zum 31.12.2007 geltenden Rechtslage rechtswidrig war. Mit Bescheid vom 5.11.2008 lehnte die Beklagte dies mit der Begründung ab, dass - anders als von § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X gefordert - bei der damaligen Entscheidung wieder das Recht unrichtig angewandt noch von einem falschen Sachverhalt ausgegangen worden sei. Auf den Widerspruch der Klägerin mit Schreiben vom 11.11.2008 bestätigte die Beklagte ihre Entscheidung mit Widerspruchsbescheid vom 8.12.2008. Darin führte sie ergänzend aus: Selbst wenn die in § 44 Abs. 1 SGB X genannten Voraussetzungen für die Rücknahme eines bindenden, rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsakts vorliegen, weil er auf einer Rechtsnorm beruhe, die nach Erlass des Verwaltungsakts in ständiger Rechtsprechung anders als durch die Behörde ausgelegt worden sei, so könne der Verwaltungsakt nur mit Wirkung für die Zeit ab dem Bestehen der ständigen Rechtsprechung zurückgenommen werden. Dies ergebe sich aus § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II i. V. m. § 330 Abs. 1 des Dritten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB III). Hinsichtlich der fraglichen Anrechnung von Krankenhausverpflegung auf die Regelleistung habe erst das die Rechtslage bis zum 31.12.2007 betreffende Urteil des BSG vom 18.6.2008 (Az.: B 14 AS 22/07 R) zu einer ständigen Rechtsprechung geführt. Zuvor sei die Rechtsprechung der Landessozialgerichte uneinheitlich gewesen. Der unanfechtbare Bescheid vom 18.5.2006 betreffe einen Zeitraum vor der ständigen Rechtsprechung, seine Rücknahme sei daher zu Recht abgelehnt worden.

Am 11.12.2008 erhob die Klägerin Klage zum Sozialgericht Freiburg.

Die Klägerin verfolgt ihr Begehren aus dem Widerspruchsverfahren weiter. Sie ist der Auffassung, das Urteil vom 18.6.2008 sei sinnlos, wenn nicht auf seiner Grundlage rechtswidrige Bescheide aus dem Zeitraum, auf die es sich beziehe, rückgängig gemacht werden könnten.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 5.11.2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 8.12.2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihren Bescheid vom 18.5.2006 gem. § 44 SGB X zurückzunehmen sowie der Klägerin für die Zeit vom 20.2.2006 bis zum 19.5.2006 die volle Regelleistung nach dem SGB II zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidun...

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