Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Arzneimittel. ausländische Apotheke mit Sitz in der EU. Beitritt zum Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung. Anspruch gegen den pharmazeutischen Unternehmer auf Erstattung des Herstellerrabatts. keine Bindungswirkung der Vorabentscheidung des EuGH vom 19.10.2016. C-148/15. mangelnde Vergleichbarkeit der Sachverhalte. Rechtsbeziehung zwischen Apotheke und pharmazeutischem Unternehmer

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine Apotheke mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union, deren Teilnahme an der Arzneimittelversorgung in Deutschland auf einem Beitritt zum Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung beruht, hat gegen die pharmazeutische Unternehmerin Anspruch auf Erstattung des Abschlags nach § 2b Abs 2 des Rahmenvertrages über die Arzneimittelversorgung in Verbindung mit § 130a Abs 1 S 3 SGB V.

2. Das Auslegungsurteil des EuGH nach Art 267 Abs 1 Buchst a AEUV vom 19.10.2016 - C-148/15 = NJW 2016, 3771, einen Rechtsstreit den unlauteren Wettbewerb betreffend, entfaltet Bindungswirkung grundsätzlich nur für das Ausgangsverfahren selbst. Darüber hinaus kommt diesem präjudizierende Wirkung nur bei vergleichbaren Sachverhalten zu. Eine solche Vergleichbarkeit ist zu verneinen, wenn es um eine Rechtsbeziehung zwischen einer Apotheke und einem pharmazeutischen Unternehmer gemäß dem Leistungserbringungsrecht nach dem SGB V geht.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 14.06.2023; Aktenzeichen B 3 KR 8/22 R)

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Rückerstattung von gezahlten Herstellerrabatten gemäß § 130a Abs. 1 des Fünften Buchs des Sozialgesetzbuchs -Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) in Höhe von 398.650,23 €.

Die Klägerin ist eine pharmazeutische Unternehmerin mit Sitz in Deutschland. Die Beklagte ist eine Aktiengesellschaft niederländischen Rechts mit Sitz innerhalb der Niederlande. Sie betreibt unter anderem eine Versand-/Internetapotheke. Die Klägerin importiert aus Mitgliedstaaten der Europäischen Union Arzneimittel und bringt diese hier nach einem Anpassen an die deutschen arzneimittelrechtlichen Bestimmungen als pharmazeutische Unternehmerin in Verkehr. Die von ihr in Verkehr gebrachten Arzneimittel werden unter anderem auch von der Beklagten an Versicherte in der Bundesrepublik Deutschland abgegeben. Dabei handelt es sich im Wesentlichen um verschreibungspflichtige Arzneimittel.

Die Beklagte erklärte gegenüber dem GKV-Spitzenverband am 13. November 2008, dort eingegangen am 17. November 2008, den Beitritt zum Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung nach § 129 Abs. 3 Nr. 2 SGB V.

Im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung sind die Arzneimittelkosten, die den Krankenkassen durch die Versorgung ihrer Versicherten entstehen, unter anderem durch Apothekengroßhandels- und Herstellerrabatte zu verringern. Der Gesetzgeber hat die gesetzliche Krankenversicherung unter anderem dadurch finanziell entlastet, dass die Arzneimittelhersteller Rabatte auf Arzneimittel für ihre Versicherten gewähren müssen. Diese Rabatte sind von den Herstellern aber nicht unmittelbar an die Krankenkassen abzuführen; vielmehr erhalten die Krankenkassen den Rabatt dadurch, dass sie die Rechnungen der Apotheken um den Herstellerrabatt kürzen. Die Apotheken wiederum können von den Arzneimittelherstellern die Erstattung der gekürzten Beträge gemäß § 130a Abs. 1 SGB V verlangen.

Demnach erfolgte die Entrichtung der Herstellerrabatte durch die Beklagte im streitbefangenen Zeitraum von Januar 2010 bis August 2016 durch Abzug der konkreten Herstellerrabatte im Rahmen der Abrechnung gegenüber den gesetzlichen Krankenversicherungen. Die Klägerin erstattete der Beklagten aufgrund der ihr von dem damit befassten Rechenzentrum zugegangenen Abrechnungen im streitbefangenen Zeitraum insgesamt 398.650,23 €, von denen sie nunmehr wegen eines Urteils des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 19. Oktober 2016 meint, sie sei dazu nicht verpflichtet gewesen.

Jenem Rechtsstreit lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf legte dem EuGH am 24. März 2015 in dem Verfahren I - 20 U 149/13, 20 U 149/13 ein Vorabentscheidungsersuchen zu Fragen der Auslegung von Art. 34 und 36 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) im Hinblick auf die durch nationales Recht angeordnete Preisbindung bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln vor. Gegenstand war ein von der dortigen Beklagten beworbenes Bonusmodell für rezeptpflichtige Medikamente, das auf der Kooperation mit einer niederländischen Versandapotheke beruhte. Der dortige Kläger sah darin einen Verstoß gegen das Wettbewerbsgesetz.

Der EuGH stellte mit Urteil vom 19. Oktober 2016 (C-148/15) u.a. zur Auslegung des Art. 34 AEUV fest, dass sich die Festlegung einheitlicher Abgabepreise, wie in § 78 Abs. 1 Arzneimittelgesetz (AMG) vorgesehen, auf in einem anderen Mitgliedstaat als der Bundesrepublik Deu...

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